: Im freien Flug über die Mandelbrot-Menge
Heute bricht die Chaos-Woche im KITO aus / Gespräch mit Initiator Dr. Hartmut Jürgens, einem Bremer Pionier der Computergraphik ■ Hierhin bitte das
abstrakte Grafik-Gebilde
Das KITO in Vegesack widmet sich eine Woche lang, bis zum 13.5., der Chaosforschung, einer jungen Wissenschaft, welche schon kräftig an den alten Denkgebäuden rüttelt. Fraktale Grafik von H.Jürgens
Vorträge, Konzerte, Videos und eine Computergraphik -Ausstellung sollen verdeutlichen, was Wissenschaft, Chaos und Kultur miteinander anfangen können.
Oder müssen. Die taz sprach mit Dr. Hartmut Jürgens, dem Leiter des europaweit ersten „Labors für Computergraphik“ an der Bremer Uni.
taz:Hoffentlich gibt es einen Plan für das Chaos in eurer Woche.
Dr. Hartmut Jürgens: Den gibt es. Ganz sicher wird die Chaos-Woche heute abend eröffnet vom Grundleger der Chaostheorie selber, von Benoit Mandelbrot - was eine kleine Sensation ist. Und ganz sicher gibt es am Mittwoch einen Vortrag darüber, was der Begriff des Chaos bedeutet...
Was bedeutet denn „Chaos“?
Fast alles, was interessant ist, ist auch chaotisch: die Entwicklung des Wetters, die Gestalt von Wolken; ein Bach mit seinen Strudeln und Turbulenzen oder einfach der komplexe Umriß eines Farnblattes. Das alles kann intuitiv erfaßt werden, theoretisch ging das lange nicht, nicht mit den Mitteln des überkommenen linearen Denkens, nicht mit den Mitteln der euklidischen Geometrie.
Mit welcher Geometrie könnte man denn Wolkenbilder kon
struieren?
Erstens braucht man die Computergraphik. Zweitens hat Mandelbrot eine Geometrie dynamischer Prozesse entwickelt, die sogenannte „Fraktale Geometrie“. Die erlaubt den Aufbau relativ „natürlicher“ Formen nach recht einfachen Algorithmen, also Regeln. Was der Trick dabei ist, werde ich selber am Freitag erklären, möglichst verständlich. Es gibt viele Bilder, Videos, darunter eines aus unserem Labor, das bislang noch nicht zu sehen war: eine, wie ich meine, sehr faszinierende Computeranimation, die vor zwei Jahren noch nicht zu machen gewesen wäre. Ein ungeheurer Aufwand an Daten steckt dahinter. Man wird da zum Beispiel einen simulierten Flug über eine Darstellung der Mandelbrot-Menge sehen. Ganz verrückte, tolle Sachen. Und wir werden ein wenig über das Teigkneten lernen. Das Einmengen von Gewürzen, was übrigens verflixt schnell geht, das ist ja ein interessanter und zugleich anschaulicher chaostheoretischer Fall. Und dazu werden wir fraktale Musik hören,
welche sozusagen das Knet- und Mischprinzip hörbar macht, fraktale Musik.
Ich kann mir schon denken, wie fraktale Teig-Musik klingt.
Ja, das ist schon sowas wie Chaos-Musik: die akustische Umsetzung von Aussagen der Fraktalen Geometrie.
hierhin bitte
die sog. Apfelmännchen
grafik
Mandelbrots „Apfelmännchen„
Was gibt es denn sonst noch?
Die ganze Woche lang zeigt das KITO eine Ausstellung von unseren Graphiken. Eine ähnliche geht übrigens seit fünf Jahren um die Welt, parallel zu ständigen Ausstellungen in Paris und London. Daneben gibt es verschie
dene Videos, mit denen wir die Chaostheorie allgemein zugänglich machen wollen. Und es werden zwei Computer bereit stehen, die erzeugen laufend Graphiken im Sinne dieser Theorie. Sie laufen mit interaktiven Programmen, das heißt, man kann eingreifen, mit ihnen spielen. Dabei werden sicherlich viele Fragen auftauchen. Ein offener Work shop am Sonntag kann vielleicht ein paar davon klären. Und vorher, am Samstag, gibt es ein Streitgespräch, das wohl wirklich chaotisch werden wird: über „Chaos und Kunst“.
Fragen: scha
Wir stellen demnächst das renommierte Graphik-Labor vor, nebst seiner neuen Videoproduktion. Nachgeliefert wird dann der längere zweite Teil des Gesprächs mit Hartmut Jürgens: über Chaos, Kunst und Alltag.
Genaues Programm der Chaos-Woche im Kästchen!
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