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■ Im Wortlaut„Irgendwo muß alles mal ein Ende haben“

Der 40jährige Matte sitzt seit 1978 im Knast in Tegel. Er wurde wegen versuchten Mordes zu zwölf Jahren verurteilt. Seine Flucht nach anderthalb Jahren brachte ihm noch mal vierzehn Jahre und eine dritte Strafe von sieben Monaten ein.

Was soll schon im Kopf passieren? Da ist natürlich ein Haufen Leere drin. Aber man probiert, das bißchen, was man hat, zu halten, entsprechend auszumalen und zu warten, in die Freiheit zu kommen. Man muß aus Gründen der Selbsterhaltung zumindest irgendwas entgegensetzen. Das sind die Dinge, die man in der Zukunft tun kann. Was wird sein? Irgend so was. Sämtliche Träume und realistische Sachen: daß man erst einmal mit kurzen Schritten laufen muß, die Stolpersteine, die einem vielleicht begegnen, Dinge von früher, die einen nicht mehr interessieren, wie das spießbürgerliche Verhalten. Wichtig ist, hier rauszukommen.

Ich würde jetzt die unwichtigen und wichtigen Sachen mehr trennen. Denn die meiste Zeit beschäftigt man sich mit unwichtigen Sachen. Wichtig ist es, die Anteile am Leben zu haben. Just for fun. Eine Erholung im Wald oder in der Badewanne sitzen. Darum geht es. Jedenfalls nicht darum, sich um ungelegte Eier zu kümmern.

Ich denke nicht oft an den versuchten Mord. Ich hab's ja durchlebt. Sicherlich wird man reifer im Laufe der Haft. Man gewinnt auch Abstand. Irgendwann ist die Haft zu Ende. Ich trage auch schon lange nicht mehr den Stein, den ich vielleicht mal tragen sollte. Irgendwo muß alles mal ein Ende haben.

Ich habe hier eine Kochlehre gemacht. Das hat aber nicht hingehauen. Jetzt sammle ich den Müll ein, schleppe Regale und Schränke. Ich weiß gar nicht, ob überhaupt Arbeit da ist, wenn ich rauskomme. Aber darüber mache ich mir gar nicht so einen Kopf, da mache ich mich nicht heiß. Und wenn ich draußen auf der Parkbank sitze, ist mir das immer noch angenehmer als hier.

Man muß den Willen haben, daß man nicht depressiv draufkommt, nicht allzu doll. Natürlich gibt es auch Schwermutsminuten. Die muß man eben durchkämpfen. Alles andere ist wie Eis am Stiel, wo man nicht lecken darf. Wenn man konkret an Frauen denkt. Wenn mir die Tränen kommen, dann aus Wut oder Enttäuschung über eine Freundschaft. Als mich mal ein guter Kumpel verraten hat, ist mir eine Träne rausgefallen.

Ich kriege ziemlich viel Post, und mein Mütterchen besucht mich regelmäßig und ab und zu ein ehemaliger Kumpel. Meine Mutter fragt sich, ob sie selber Fehler gemacht hat. Nach der Arbeit höre ich Musik oder sehe Fernsehen, je nachdem wie ich drauf bin. Oder lass' einfach die Bilder ablaufen. Wenn ich dann so auf der Pritsche liege, fängt die Intimsphäre an. Vorher hat man ja keine Ruhe, weil dauernd einer kommt. Der eine onaniert, der andere ißt Abendbrot. Meistens bin ich abends geschafft, durch den Sport. Ich spiele dreimal in der Woche Handball. Ich bin vierzig Jahre, irgendwann werde ich ja auch müde.

Natürlich zieht sich die Zeit wie Gummi, und man zählt die Tage nicht mehr. Was später draußen passiert, lasse ich auf mich zukommen. Eine Ehe ist auch wie eine Art Gefangenschaft, das sollte man sich überlegen. Lieber erst mal alleine, man kann ja eine Freundschaft pflegen. Aufgrund meiner langen Haftstrafe kann ich nur in Jahren denken. Ich bin ja nun auch kein Engel. Von daher sitze ich ein bißchen länger. Aufgeschrieben von Barbara

Bollwahn/Foto: Karl Mittenzwei

wird fortgesetzt

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