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■ Im Sommer ist schon mittags Schichttaz-Serie (2. Teil): Neue Arbeitszeitmodelle - Abschied von der Fünftagewoche / Im BMW-Motorenwerk Spandau regeln Angebot und Nachfrage ein flexibles Arbeitszeitmodell

Im Sommer ist schon mittags Schicht

Die regelmäßige tägliche Arbeitszeit und die freien Wochenenden sind auslaufende Modelle. Einige Unternehmen arbeiten bereits am Samstag und Sonntag – um die Maschinen besser auszulasten und konkurrenzfähiger zu sein. Dieser Flexibilisierung steht die Gewerkschaftsforderung nach Verkürzung der Arbeitszeit gegenüber. Absicht und Hoffnung: Existierende Arbeitsplätze werden gesichert und neue geschaffen. In der Praxis gehen beide Strategien meist eine enge Verbindung ein. Wem die neuen Arbeitszeitmodelle dienen und wie sie in der Praxis funktionieren, hat die taz jetzt am Beispiel von Berliner Betrieben und Verwaltungen untersucht.

„Jetzt oder nie“ lautet die Losung der rasenden Naturliebhaber in Lederkluft. Wer im März für 25.000 Mark oder mehr ein Motorrad beim BMW-Händler bestellt hat, will mit den Fahrfreuden nicht bis zum Juli warten. „Unsere Kunden sind extrem abhängig von den Jahreszeiten und vom Wetter“, weiß Günther Furchtbar, Personalchef des BMW-Motorradwerkes in Spandau.

Im ersten Halbjahr Produktion auf Hochtouren

Wie andere Berliner Betriebe auch, praktiziert BMW seit 1993 ein flexibles Arbeitszeitmodell, um so schnell wie möglich auf steigende Nachfrage und unterschiedliche Kundenwünsche zu reagieren. Rechtzeitig zum Beginn der Motorrad-Saison im Frühjahr sollen die richtigen Modelle beim Händler stehen und dann laufend nachproduziert und geliefert werden können. „Um den maximalen Absatz zu erzielen, haben wir ein neues, marktorientiertes Arbeitszeit-System eingeführt“, so Personalchef Furchtbar.

Die Lösung sieht so aus: Von Januar bis Juni läuft die Produktion auf Hochtouren, die 300 BMW- Werker in der Montage fertigen 180 Motorräder pro Tag. In enger Absprache mit den Händlern werden mal von diesem, mal von jenem Modell höhere Stückzahlen hergestellt. Wenn der jahreszeitlich bedingte Boom vorbei ist, sinkt der Ausstoß in der zweiten Jahreshälfte auf 130 Einheiten täglich. Die flexible Produktion hat für BMW einen weiteren Vorteil: Weil in Zeiten geringer Nachfrage weniger Motorräder gebaut werden, sinken die Kosten für die Lagerhaltung.

Konsequenz für die Arbeitszeit in der Endmontage: Im ersten Halbjahr dauert die tägliche Schicht neun Stunden, danach wird sie auf siebeneinhalb Stunden reduziert. Ab Juli können die Motorrad-Monteure sich deshalb schon um 13.30 Uhr auf den Weg in ihren Schrebergarten machen. Im Durchschnitt eines halben Jahres ergibt sich die im bundesweiten Metalltarifvertrag festgelegte Arbeitszeit von 36 Stunden pro Woche.

Aber nicht nur in der Endmontage wird flexibel gearbeitet – auch in vorgelagerten Bereichen der Fertigung hat sich einiges geändert. Dort müssen während des Frühjahrs mehr Teile hergestellt werden. Erstmalig 1993 führte BMW – zunächst auf ein Jahr befristet – für 48 Arbeiter der Produktion von Pleuelstangen die Sechstagewoche ein: Der arbeitsfreie Samstag fiel aus. Jeder Beschäftigte kam somit auf 48 Wochenstunden und wurde nach drei Wochen mit sieben arbeitsfreien Tagen entschädigt. So kam man auch hier auf die durchschnittliche 36-Stunden-Arbeitszeit.

Arbeitsplätze konnten erhalten werden

Während die Sechstagewoche aufgrund des halbierten Wochenendes für die Beschäftigten einerseits handfeste Nachteile mit sich bringt, wurden dadurch andererseits einige Arbeitsplätze gesichert. Da jede der ursprünglichen drei Schichten einmal pro Monat für eine Woche zu Hause bleibt, mußte eine komplette vierte Schicht mit zwölf Arbeitern hinzugefügt werden. Die kamen aus anderen Bereichen des Spandauer Werkes, wo ihre Arbeit nicht mehr gebraucht wurde. Dank der Sechstagewoche konnten sie umgesetzt werden, und die Arbeitsplätze blieben erhalten. Zu Neueinstellungen vom Arbeitsamt hat die verlängerte Arbeitszeit aber nicht geführt.

Die Sicherung von Arbeitsplätzen ist quasi ein Nebeneffekt der Unternehmensstrategie. BMW- Personalchef Furchtbar sagt offen, daß „die Beschäftigungssicherung nicht das Hauptargument für die Flexibilisierung war“. Und Pressesprecher Krohm meint: „Die marktorientierte Arbeitszeit garantiert maximalen Verkauf und sichert damit letztendlich auch beschäftigung.“ Die Statistik gibt der Firmenleitung recht: Die Zahl der 1.800 Beschäftigten im Spandauer Werk blieb in den vergangenen sechs Jahren nahezu konstant.

Während BMW in ruhigem Wasser fährt und die flexible Arbeitszeit dazu dient, besser auf die Erfordernisse des Marktes zu reagieren, entwickelte das Unternehmen „Kaiser Kabel“ in Tempelhof unter Druck ein ähnliches Modell. „Das war die Alternative zur Entlassung“, betont Nedzati Limani, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender des Kabelherstellers. Als die Auslastung des Werkes im vergangenen Herbst in den Keller sackte, einigten sich Firmenleitung und Betriebsrat auf die vorübergehende Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit.

Zur Zeit arbeitet die Fabrik nur an vier Tagen pro Woche. Die zur tariflichen Regelarbeitszeit von 36 Stunden fehlende Schicht wird nachgeholt, wenn die Produktion zwischen April und August auf die Sechstagewoche umgestellt wird. Die aus der Not geborene Flexibilisierung hat für die Beschäftigten zwei Vorteile: Sie behalten ihren Arbeitsplatz und kommen unter Umständen noch in den Genuß von Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich. Denn Bestandteil der Betriebsvereinbarung ist folgende Regelung: Reicht die Nachfrage nach Kaisers Kabeln im Sommer nicht aus, um sechs Tage pro Woche zu produzieren, bezahlt der Betrieb die vollen Löhne, auch wenn die Beschäftigten weniger als durchschnittlich 36 Stunden gearbeitet haben.

Die Serie wird Montag kommender Woche fortgesetzt.

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