■ Im Osten hat sich eine rechte, gewalttätige Subkultur etabliert. Nur mit Sozialarbeit kann man diesen Rassismus nicht bekämpfen: Hass- oder Spaßgesellschaft?
Man hatte es schon geahnt, als sich der polnische Widerstand gegen die Jaruzelski-Diktatur auf die katholische Kirche berief: Wenn der Realsozialismus verschwindet, treten Atavismen und Regressionen an seine Stelle. Doch es kam noch dialektischer: Die neue Rechte des Ostens bemächtigte sich nicht etwa alter Nazisymbole, sondern wurde zuerst als neue Jugendkultur sichtbar. Und diese hatte sich teilweise der Zeichen und Symbole bemächtigt, die vorher politisch neutral oder gar als links codiert waren.
Man muss sich daran erinnern, dass es zwar immer auch rechte Skins in England gab, aber die Bewegung durchaus komplex war, trotzkistische Gruppen umfasste und sich in ihren Anfangsjahren die schwarzen Rude Boys zum Vorbild nahm. Und als nach 1990 immer häufiger gewalttätige neue Rechte in der Ex-DDR zu sehen waren, sahen sie nicht einmal immer wie Skinheads aus, sondern oft auch wie der typische von US-Beach-Kultur beeinflusste Surfer und Skater. Wer Jugendkulturen für per se progressiv gehalten hatte, musste umdenken.
So präsentierte dann auch das deutsche Fernsehen am anhaltischen Wahlabend 1998 mit seinem DVU-Rekordergebnis einen rundum mit US-Jugendkultur-Codes übersäten jungen Mann, der verkündete, er finde die DVU toll, die tue was gegen die Ausländer. Da feixt dann gerne der gebildete Kleinbürger über die Dummheit des jungen Mannes, der doch selber ganz offensichtlich an ausländischen kulturellen Zeichen orientiert ist und sich daher doch soeben in schwere Widersprüche manövriert hat. Mitnichten. Der Mann hat nichts gegen Ausländer, er ist ein Rassist.
Die viel beschworene Orientierungslosigkeit rechter ostdeutscher Jugendlicher ist nämlich keine. Die wäre vergleichsweise ungefährlich. Stattdessen kann man eher von einer zugespitzten und engen Orientierung reden: gegen Ausländer, gegen Schwule, gegen Behinderte, gegen den linken und liberalen Wertekanon. Die verbindende Klammer dieser negativen Orientierungen ist ein offener, expliziter Rassismus, der sich vor allem gegen afrikanisch- und asiatischstämmige Menschen richtet.
Schon der Blick auf die Marktplätze von Kleinstädten, die Bahnhofsvorplätze von Mittelstädten reicht: Die eh geringe Zahl nicht nordisch wirkender Menschen huscht nur noch verängstigt von „sicheren Orten“ wie Banken und Supermärkten zu den Verkehrsmitteln, um möglichst schnell wieder aus der Öffentlichkeit zu verschwinden. Nicht rechte Jugendliche organisieren mittlerweile ein System von Orten (Geschäften, Kneipen etc.), die ihnen bei den alltäglichen Verfolgungen Schutz gewähren. Unterhalb (tödlicher) rassistischer Überfälle gibt es einen Alltag, der mittlerweile nahezu jedem Nichtnazi in ostdeutschen Kleinstädten das Leben zur Hölle macht. Die Mehrheit scheint dies nicht zu stören.
Der rechtsradikale Mainstream innerhalb der Jugendkultur in der Ex-DDR ist mittlerweile so breit, dass er durchaus Unterschiede innerhalb der Groborientierung zulassen kann. Rechte Skater können offenbar neben rechten Gothic-Fans existieren. Die einen sind eher locker und an einer Frischluftfreizeit interessiert, die anderen introvertierter und stubenhockerischer. Bei den einen herrscht in der Gruppe eine straffe Hierarchie, bei den anderen geht es zeitgemäß ironisch zu und die Hierarchien sind eher subtil vermittelt.
Es gibt auch nicht mehr nur das eine neonazitypische Sozialverhalten, den rechten Umgangston, den bei proletarischen Rechten noch intakten Zusammenhang aus Saufen, Fußball und Ausländerhatz, sondern rechtsextreme und völkische Positionen bei allen möglichen Jugendkulturen. Den Zusammenhang aller Unterorientierungen liefert aber eine ausgesprochen unsubtile, an plumpen Evidenzen wie Hautfarben orientierte Form von Rassismus.
Diese Orientierung ist nicht nur gegen die möglicherweise als vom Westen auferlegt empfundenen liberalen Toleranzvorstellungen gerichtet. Sie ist auch nicht allein als Effekt des kapitalistischen Konkurrenzkampfes in Gegenden, die nicht auf dessen kulturelle Abfederung vorbereitet sind, zu erklären. Die jugendkulturelle Rechtsorientierung im Osten enthält vier neue Merkmale, die eine besondere Betrachtung verdienen:
Sie ist kompatibel mit anderen, traditionell „links“ codierten jugendkulturellen Moden.
Sie unterscheidet sich von allen möglichen anderen jugendkulturellen Orientierungen vor allem durch ihre geringe Komplexität.
Sie ist weniger generell rechts als vor allem präzis rassistisch.
Sie ist nicht gegen die Wertvorstellungen der Eltern gerichtet, sondern versteht sich eher als Radikalisierung und tätliche Umsetzung dieser Wertvorstellungen. Ihr unverrückbarer Grundsatz ist, dass die Deutschen ein ethnisch homogenes Volk sind und dass alle, die nicht deutsch aussehen, auch nicht deutsch sein können. Ob man sie dann nur schneidet, nur verprügelt oder doch lieber umbringen will, sind durchaus umstrittene Nuancen.
Diese rechtsradikale Jugendkultur ist nicht so widersprüchlich, wie Beobachter gerne behaupten. Während die heutigen Versionen von Jugendkulturen in den westlichen Industrieländern ein hohes Maß an Komplexitätsbewältigung leisten, ist der jugendkulturelle Rechtsradikalismus über eine Mischung aus traditionellen Werten, Konsumorientierung und einem Freund-Feind-Schema erstaunlich simpel strukturiert. Und er kennt keine zweiten Ebenen für seine internen Widersprüche wie die ironiegesättigten Jugendkulturen anderswo. Der Hass richtet sich mitnichten gegen Internationalität an sich und steht damit also auch nicht im Widerspruch zu den häufig artikulierten Träumen von Fernreisen und Marlboro-Abenteuern, sondern richtet sich ausschließlich gegen rassistisch als „anders“ Identifizierte.
So ist eine Nazi-Guerilla entstanden, die sich vielerorts ganz im Sinne Maos und Ches in der Bevölkerung wie Fische im Wasser bewegt. Eltern und Erzieher teilen die rassistischen Werte, und – wie das Beispiel Gollwitz gezeigt hat – auch die nominell antifaschistische PDS ist nicht gegen antisemitische Orientierungen gefeit. Die Erwachsenen heißen allenfalls die Methoden nicht gut. Genau dies ist auch das Besorgniserregende: Der rechte Untergrund erfüllt eine strukturelle Aufgabe von Jugendkultur – und gleichzeitig wird er auch von der Erwachsenenkultur gebilligt. Seine Opfer werden vom Rest der Bevölkerung genauso eingeschätzt, nur nicht genauso „entschlossen“ bekämpft.
Was kann man dagegen tun? Ausgehend davon, dass das Hauptübel der neuen Jungnazis ihr gewalttätiger Rassismus ist, stellt sich die Aufgabe, rassistisches Handeln speziell zu verbieten. Vorbild könnten die Gesetze gegen so genannte Hate-Crimes in den USA sein – also durch Vorurteile motivierte Verbrechen. Man müsste nur von den amerikanischen Fehlern lernen, das Kriterium – also „Hass“ – psychologisch in der Subjektivität des Täters finden zu wollen. Vielmehr müsste es darum gehen, Tätlichkeiten, Beleidigungen, Überfälle, Vergewaltigungen bis zum Mord daraufhin zu untersuchen, wie das Opfer ausgesucht wurde und ob – sozusagen „behavioristisch“ von außen gesehen – die Tat die typischen Merkmale eines rassistischen Angriffes aufweist. Angesichts der Tatsache, dass für afrikanisch- und asiatischstämmige Menschen große Teile des Ostens zur No-go-Area geworden sind, sollte man nicht so große Angst vor dem Missbrauch eines solchen Gesetzes haben, sondern davor, dass der jetzige rassistische Status quo irreversibel wird.
Angesichts der kasachischen Frau in Cottbus, die, wie der Spiegel berichtet, froh ist, wenigstens nicht durch ihre Hautfarbe identifizierbar zu sein, und nur in der Öffentlichkeit den Mund halten muss – angesichts tausender solcher Fälle stellt sich die Aufgabe, diesen „ethnischen Säuberungen“ im eigenen Lande drastischer entgegenzutreten als mit akzeptierender Sozialarbeit. Mit einem solchen Gesetz trifft man auch den geheimen Rassismus großer Teile der Eltern, die selbst latent rassistisch sind, aber eben auch staatsfromm, und für die etwas eben erst verboten sein muss, um als falsch erkannt zu werden. Den Vater, der die Folterungen, die sein Sohn an einem afrikanischstämmigen Klassenkameraden routinemäßig verübt, damit rechtfertigte, „auch der Schily sagt ja, dass das Boot voll ist“, also die Brutalitäten seines Sohnes als verlängerten Arm des Innenministers versteht, könnte man eben nur noch erschüttern, wenn man ihm seinen Rassismus verbietet. Diedrich Diederichsen
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