Ilja Richter, tragischer Disco-Clown : König Ulknudel
Die meisten Menschen verstecken Fotos und Filme aus ihrer Vergangenheit in verschließbaren Kisten auf dem Dachboden. Niemals soll irgendjemand den Beweis für jugendliche Frisurverirrungen oder modische Fehltritte in die Hände bekommen. Solch eine Kiste besitzt Ilja Richter tragischerweise nicht.
Seit gefühlten 50 Jahren moderiert der Berliner mit Popperscheitel die Show „Disco“ und spaziert in Schlaghosen mit Theo Lingen, Uschi Glas und Hansi Kraus durch Babelsberg. Dabei hat Richter schon mehrmals versucht, seinen Ruf als Klamauk-Äffchen abzuschütteln – als Synchronsprecher zum Beispiel oder als Kolumnist bei der taz.
Am deutlichsten zeigt sich Ilja Richters seriöse Seite am Theater. So spielt er in Worms bereits seit zwei Jahren die tragische Figur des Rüdiger von Bechelaren. Ganz aktuell macht der 55 Jahre alte Darsteller Schlagzeilen mit der Teilnahme an Shakespeares „Richard III“ am Deutschen Theater Göttingen. Fünf Aufführungen lang wird er ab dem 27. September in der Inszenierung von Mark Zurmühle den Herzog von Gloster mimen. „Ein echter Glücksfall“, sagt eine Sprecherin des Hauses über den Gastauftritt des 70er Jahre-Stars.
Wenn es dann in Göttingen „Licht aus! Spot an!“ heißt, wird Richter zeigen können, dass in ihm mehr, als eine Ulknudel steckt. Denn die Rolle des Herzogs, der es bis auf den Königsthron schafft, verlangt ihm das ganze Repertoire an Bösartigkeiten ab – Richard tötet, manipuliert und quält sein Umfeld, um ganz nach oben zu kommen.
Ist das nun ein ganz neuer Ilja Richter? Wohl kaum, denn den alten gibt es schon seit über 30 Jahren nicht mehr, nur hat es kaum einer bemerkt. Wie ein alter Kaugummi klebt die „Disco“-Vergangenheit an dem Tausendsassa, sogar das Göttinger Theater wirbt mit seiner Pop-Vita. Dabei hat sich Richter durch seine Arbeit als Schriftsteller, Regisseur und Hörbuchsprecher längst eine mediale Tabula rasa verdient. Vielleicht wird ihm der blutrünstige König Richard dabei behilflich sein. UTA GENSICHEN
„Richard III.“, Inszenierung von Mark Zurmühle, Premiere am 27. September, Deutsches Theater Göttingen
Fotohinweis:ILJA RICHTER, 55, ist vor allem als Komiker und Moderator der 70er Jahre bekannt. Er kann auch ernste Rollen spielen. FOTO: DPA