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■ Ibrahim Rugova, Präsident der „Republik Kosovo“:„Ich bin ein Halbgefangener“

Im Jahr 1988 wurde der Literaturkritiker Ibrahim Rugova Präsident des Schriftstellerverbandes von Kosovo. Als dieser im Rahmen der Gleichschaltung der zu 90 Prozent von Albanern besiedelten Provinz im Süden Serbiens aufgelöst werden sollte, gründete Rugova den „Demokratischen Bund des Kosovo“. Im Mai 1992 führten die Albaner im Kosovo Parlaments- und Präsidentschaftswahlen durch, die von der serbischen Minderheit boykottiert und vom Regime in Belgrad zwar toleriert, aber nicht anerkannt wurden. Ibrahim Rugova wurde als einziger Kandidat mit fast allen Stimmen zum Präsidenten gewählt.

taz: Herr Rugova, Sie sind demokratisch gewählt, nur fehlt Ihnen die tatsächliche politische Macht...

Ibrahim Rugova: Ich habe die politische und moralische Macht im Kosovo – vor allem in der albanischen Gemeinschaft, aber auch darüber hinaus. Wir haben unser paralleles Schulwesen in Privathäusern, unser Kulturleben, auch wenn das alles verboten ist. Wir haben auch ein System der gegenseitigen Hilfe unter den Albanern. Allerdings habe ich keine exekutive Macht, die Polizei untersteht der serbischen Regierung. Und wir werden international nicht anerkannt. Aber so ist es nun mal, wenn neue Staaten entstehen.

Ist denn das im Mai des vergangenen Jahres gewählte Parlament schon einmal zusammengetreten?

Wir haben es einen Monat nach den Wahlen versucht. Ein umfangreiches serbisches Polizeiaufgebot hat das sofort verhindert. Das Gebäude wurde besetzt. Es gibt nur Sitzungen der einzelnen Parlamentsfraktionen.

Die serbische Regierung hat angeboten, über eine Aufhebung der Bestimmungen zu verhandeln, die vor vier Jahren der Autonomie des Kosovo ein Ende gesetzt haben. Sind Sie bereit, mit der Regierung in Belgrad zu verhandeln? Mit welchem Ziel?

Das ist ein neuer Trick Serbiens. Sie müssen etwas tun, weil der Kosovo nun international im Gespräch ist, auch bei den Verhandlungen in Genf. Aber der Terror im hiesigen Alltag geht weiter, er hat sich sogar wieder verschärft. Ich habe mich zweimal mit dem (im Dezember abgewählten Anm. d. Red.) jugoslawischen Ministerpräsidenten Panić getroffen, als er in den Kosovo kam. Ohne jedes Resultat. Mit dem jetzigen Angebot wollen die Serben nur Zeit gewinnen.

Wenn Milošević Sie nach Belgrad einlädt, gehen Sie dann?

Ich will nichts ausschließen. Aber die Situation ist wirklich sehr schwierig. Bislang hat Milošević ja alle unsere Forderungen rundweg abgelehnt.

In Westeuropa und den USA befürchtet man eine Ausweitung des Krieges auf die gesamte Balkanregion. Aus dieser Furcht heraus will man nun also den Krieg in Bosnien-Herzegowina um jeden Preis stoppen. Müssen Sie nicht befürchten, daß der Kosovo und sein Begehren nach Unabhängigkeit auf dem Altar dieser Furcht geopfert wird

Das ist gut möglich, auch wenn die westeuropäischen Länder wissen, daß die Kosovo-Frage gelöst werden muß.

Inwieweit wurde die Kosovo- Frage in den Genfer Verhandlungen mitdiskutiert?

Es besteht die Gefahr, daß man dort wieder nur ein Teilproblem löst. Erst hat man ein Abkommen zwischen Kroatien und Serbien ausgehandelt, das den Krieg in der Krajina und Ostslawonien beendet hat, ohne das Problem Bosnien- Herzegowina mitzuverhandeln. Nachdem vier Monate danach in Bosnien der Krieg ausbrach, versucht man nun, ein Abkommen über Bosnien-Herzegowina auszuhandeln, und hofft, daß Serbien im Süden nicht neue Schwierigkeiten schafft. Bei den Verhandlungen in Genf, wozu ich eingeladen wurde, hat man zwar über das Gesundheitswesen, die Schulen gesprochen, aber nicht über den politischen Status des Kosovo.

Halten Sie eine Rückkehr zu einer weitgehenden Autonomie des Kosovo innerhalb Serbiens, wie sie die Verfassung von 1974 garantierte, für eine mögliche Lösung?

Nein, dazu ist es nun zu spät. Wir sind nach einem Referendum über die Unabhängigkeit, einer Volksbefragung also, aus der jugoslawischen Föderation ausgetreten. Im Rahmen des großen Jugoslawien hätte die Autonomie noch durchaus einen Sinn gehabt. Nun bleiben wir ja faktisch allein mit den Serben, und wir haben leider mit allen serbischen Regierungen sehr leidvolle Erfahrungen machen müssen.

Ist Ihr Ziel, sich später mit Albanien zu einem neuen Staat zu vereinigen?

Wir schlagen die international garantierte Unabhängigkeit und Neutralität des Kosovo vor. Das schließt den Verzicht auf eine Vereinigung mit Albanien ein.

Aber es sieht so aus, daß Serbien nicht nachgeben wird. Und es hat die militärische Macht. Werden die Albaner zum bewaffneten Kampf übergehen?

Ein bewaffneter Widerstand hier ist unmöglich. Wir haben seit drei Jahren keine lokale Polizei mehr, keine Kräfte der Territorialverteidigung (lokale bewaffnete Einheiten des kommunistischen Jugoslawien für den Fall eines Angriffs von außen, Anm. d. Red) mehr. Es gibt nun natürlich eine Radikalisierung, Extremisten, die unsere gewaltfreie Bewegung kritisieren und eine Wiedervereinigung mit Albanien wollen, erhalten Zulauf. Aber die haben absolut keine Chance.

Erhalten Sie von der serbischen Opposition irgendwelche moralische oder politische Unterstützung?

Die serbischen Parteien sind alle gleich, wenn es um den Kosovo geht. Die serbische Opposition ist stark von Intellektuellen geprägt, und die haben früher mit dem Kommunismus kollaboriert, um sich jetzt dem Nationalismus in die Arme zu werfen. Unterstützung kriegen wir allenfalls von Individuen wie etwa von Bogdan Bogdanović, dem früheren Belgrader Bürgermeister. Doch der hat keinen Einfluß.

Die serbische Regierung könnte diese Baracke, in der wir gerade sprechen, also das Hauptquartier des Demokratischen Bundes und Sitz des gewählten Präsidenten, ohne weiteres schließen und Sie unter irgendeinem Vorwand ins Gefängnis werfen. Weshalb tut sie es nicht?

Natürlich könnte sie es. Unser Demokratischer Bund ist zwar offiziell registriert, also anerkannt, aber existiert in der Halblegalität. Wir dürfen uns nicht frei versammeln. Jeden Tag werden Aktivisten des Bundes, aber auch anderer Parteien mißhandelt, festgenommen oder verurteilt. Aber man nimmt eben auch Rücksicht auf die internationale Öffentlichkeit. Was mich persönlich betrifft: Ich bin ein Halbgefangener. Seit über zwei Jahren bin ich nicht mehr hier in der Stadt spazierengegangen. Ich bewege mich nur im Auto zwischen meiner aktuellen Bleibe und dem Büro hier in Begleitung mindestens einer Person hin und her. Auch dann muß ich oft meine Papiere zeigen. Die haben mich sehr genau unter Kontrolle. Interview: Thomas Schmid

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