piwik no script img

IST'S WEIL SIE AHNEN, DASS ES DORT BESSER ZUGEHT ALS BEI IHNEN SELBST? MANCHE LEUTE JEDENFALLS FREUT ES, WENN IN HAMBURG DER „PUDEL CLUB“ BRENNTEin Haus inmitten von Brennnesseln

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Ich kenne Leute, die arbeiten mehr als ich und haben weniger Geld. Ich kenne Leute, die arbeiten mehr als ich und haben mehr Geld, viel mehr Geld als das Mehrarbeiten ausmachen kann. Innerhalb seiner Möglichkeiten kann sich jeder Mensch entscheiden, wie er leben will. „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“, sagt der Pessimist und lehnt sich zurück. „Aber ein bisschen richtiger, das geht vielleicht“, sagt der andere, irgendein anderer. Der ich gerne sein möchte. Mit dem ich befreundet sein will.

Diese Stadt, Hamburg, ist irgendwann durch den Handel zu Wohlstand und Ansehen gekommen. Zu Geld halt. In dieser Stadt sitzt das Geld. Es sitzt an der Elbe und an der Alster, es ist so umfassend in Tausenden Villen vorhanden, dass ich es manchmal nicht glauben kann. So viel Geld in so vielen Häusern mit Garagen und Fensterputzern. Und so gediegen. Geschmackvoll und hanseatisch zurückhaltend. Das ist Hamburg, das sind die Hamburger Reichen. Die Hamburger Armen aber auch: auch sehr zurückhaltend, wenn auch weniger gediegen.

Und dann steht da ein kleines Haus, eine Hütte am Hafen, und sagt: Ich nicht. Ich reih’mich da nicht ein. Häuser sprechen selten, aber dieses Haus spricht. Es ist ein widerspenstiges Haus, ein schmutziges, vollgeschmiertes Haus, ich kenn mich aus, ich war da öfter auf Toilette. Es ist ein Haus im Unkraut, ein Haus im Licht, wo Bier und Eintritt so sind, wie auf einer Wiese mitten in den Brennnesseln.

Und dieses Haus im Licht, das ist bekannt. In manchen Kreisen ist das Haus bekannter als der Rest der Stadt, bekannt in der Welt. In New York und Amsterdam, in Stockholm und in Tokio. Das ist für manche Leute nur schwer zu verstehen, weil sie das alles nicht verstehen, das Haus nicht, die Musik nicht, die Leute nicht, das Leben nicht, weil das Leben, das da stattfindet, nicht das Leben ist, für das sie sich entschieden haben. Weil sie aber ahnen, dass es so ein Leben gibt, dass es sich vielleicht besser anfühlt, dass es glücklicher macht und richtiger ist als das, was sie selbst gewählt haben: fangen sie an zu hassen. Und sich zu freuen, dass der Pudel Club versteigert wird, dass er nun abgebrannt ist.

Weil man nicht dazu gehört, weil man sich für ein anderes Leben entschieden hat, verurteilt man die, die anders leben. Denn wenn man sie nicht verurteilen würde, dann müsste man vielleicht anfangen, sein eigenes Leben in Frage zu stellen. Und die Leute, die sich so hämisch über den Pudel äußern, die ahnen, dass da was ist, etwas von Bedeutung, sonst würde es sie nicht so erregen.

Der Streit ist so symbolisch, dass es in einem Roman platt wäre: Was im Pudel unversöhnlich zusammengehörte, das Obergeschoss und die wirtschaftlichen Interessen, das Untergeschoss und seine Verweigerungshaltung diesen Interessen gegenüber: Das gehört in der ganzen Stadt auf ebenso unversöhnliche Weise zusammen, das gehört letztlich auch in mir selbst zusammen, weil ich mein Geld zusammenhalte, statt es zu spenden, weil ich Dinge tue, die ich nicht besonders gerne tue, des Geldes wegen, weil ich Unternehmen unterstütze, durch Einkaufen, die alles andere als unterstützenswert sind, und mich neben all diesen Dingen krümme, um trotzdem ein bisschen richtiger zu leben.

Es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Aber es gibt Orte, wo es richtiger ist. Es gibt Träume und Visionen. Es gibt Mut und Schönheit. Es gibt Widerstand. Der Golden Pudel Club ist nicht nur irgendein Club, er ist eine urbane Option auf ein nichtkommerzielles Zelebrieren von Nacht und Musik, Raum für eine Kultur, die nach Regeln funktioniert, die mit Geld wenig zu tun haben.

Ich glaube nicht an den Untergang des Pudel Clubs. Der Pudel hat einen kräftigen Knochenbau.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen