INTERVIEW: „Neue Perspektiven des Handels“
■ Prof. D.D. Daschitschew von der Akademie der Wissenschaften zu Problemen und Chancen der deutsch-sowjetischen Zusammenarbeit
taz: Der Handel zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion ist von 24 Mrd. DM (1984) auf 14 Mrd. DM (1987) zurückgegangen. Was müßte nach Ihrer Meinung getan werden, damit diese Abwärtsbewegung gestoppt wird?
Daschitschew: Die BRD ist auf wirtschaftlichem Gebiet nun schon traditionell wichtigster Partner der Sowjetunion unter den westlichen Ländern. Für den Rückgang des Handelsvolumens gibt es eine ganze Reihe von Ursachen. Ein bedeutender Faktor ist der Ölpreisverfall auf den Westmärkten und der damit verbundene Einnahmenrückgang der UdSSR bei harter Valuta.
Weiterhin ist die Änderung der Investitionspolitik in der sowjetischen Volkswirtschaft zu berücksichtigen, die nach dem 27. Parteitag eingetreten ist. Eine ganze Reihe großer Projekte wurde eingefroren, manche fielen als nicht sinnvoll aus der Planung heraus. Der Übergang von den alten Planungs- und Leitungsmethoden zum neuen Typ der Wirtschaftslenkung, gegründet auf ökonomische Methoden, auf Dezentralisierung der Leitung, macht auch für die Außenwirtschaft der UdSSR und für deren internationale Handelsbeziehungen einen durchaus schmerzhaften Anpassungsprozeß notwendig. Entscheidende Bedeutung gewinnen nun Direktbeziehungen zwischen Unternehmen.
Die sowjetischen Betriebe haben aber noch nicht die dafür erforderliche Erfahrung in den Bereichen Marketing, Konjunkturananlyse, Finanzierung, sie kennen die administrativen und gesetzlichen Rahmenbestimmungen nicht. Das sind jedoch vorübergehende Erscheinungen. Gleichzeitig nämlich eröffnet die Wirtschaftsreform neue Perspektiven der Zusammenarbeit. Wird die Konkurrenzfähigkeit sowjetischer Unternehmen der verarbeitenden Industrie auf den Westmärkten gestärkt, so werden diese Unternehmen gleichzeitig zu gefragten Partnern für westdeutsche Firmen. Der jetzigen Senkung des Handelsvolumens folgt dann ein neuer Aufschwung des Warenaustausches.
Wo sehen Sie noch ungenutzte Kooperationsfelder zwischen der westdeutschen und der sowjetischen Ölindustrie?
Füher standen Großprojekte in den bereichen Öl, Gas, Chemie, Metallurgie usw. im Mittelpunkt der Zusammenarbeit. Westdeutsche Partner bei diesen Vorhaben waren in erster Linie Großfirmen. Die Erfahrungen aus dieser Zusammenarbeit sind positiv und wertvoll. Der Schwerpunkt der Wirtschaftszusammenarbeit beginnt sich jedoch auf andere Bereiche zu verlagern. Ich nenne den Maschinenbau, die Leichtindustrie und andere Zweige der verarbeitenden Industrie, die Landwirtschaft und den Dienstleistungssektor. Hier gibt es noch große ungenutzte Möglichkeiten.
Ich denke, auch mittlere und kleine Firmen aus der BRD können sich künftig stärker in die Zusammenarbeit einschalten, sich an Kooperationsprojekten beteiligen, die Perestroika, die zahlreichen sowjetischen Unternehmen einen direkten Zugang auf die Außenmärkte verschafft hat, eröffnet zugleich breite Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Weltfirmen. Interview: Alice Meyer
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