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INTERVIEW„Wir müssen den toten Punkt überwinden“

■ Mubarak Awad führt eine Kampagne des zivilen Ungehorsams gegen die israelische Besatzung

Mubarak Awad, ein in Jerusalem geborener Palästinenser mit amerikanischem Paß und israelischem Identitätsausweis, betrachtet sich als Schüler Mahatma Gandhis und Martin Luther Kings. Seine Vorstellungen von gewaltlosem Widerstand gegen die israelische Besatzung wurden kürzlich vom Chefredakteur der palästinensischen Zeitung Al Fajr, Hanna Siniora, aufgegriffen, der eine Kampagne des zivilen Ungehorsams lancierte. Nach seinem Aufruf zum Boykott israelischer Zigaretten wurde Siniora zweimal von der Polizei verhört. Der Staatsanwalt muß jetzt entscheiden, ob ein Verfahren gegen ihn eingeleitet wird. Awad selbst drohte im November 1987 die Ausweisung, weil das Innenministerium sein Visum nicht verlängern wollte. Unter dem Druck des US-Außenministeriums wurde einstweilen von einer Ausweisung Awads Abstand genommen.

taz: Warum rufen Sie zum jetzigen Zeitpunkt, vor dem Hintergrund der Protestbewegung in den letzten Wochen, zum Boykott israelischer Zigaretten auf?

Mubarak Awad: Die Bevölkerung ist jetzt zu solchen Initiativen bereit. Der Anfang der Kampagne – der Zigarettenboykott, dem der Boykott nichtalkoholischer Getränke folgen soll – muß als ein symbolischer Versuch angesehen werden. Sobald sich die Leute an die Formen des zivilen Ungehorsams gewöhnt haben, werden wir zu weiteren Schritten übergehen.

Hinkt eure Initiative nicht den stürmischen Ereignissen der letzten Wochen hinterher? Wirkt sie nicht, wie einige Israelis und Palästinenser kritisieren, etwas lächerlich?

Die Reaktionen auf unsere Initiative sind unterschiedlich. Es gibt Leute, die den Boykott unterstützen und andere, die sagen: Das kommt zu spät, das hätte man vor zwanzig Jahren machen müssen, als die Besatzung begann. Aber gewaltloser Widerstand braucht Zeit, sich zu entwickeln. Bewußt oder unbewußt kaufen die Leute jetzt palästinensische Zigaretten. Ich könnte mir vorstellen, daß Kinder zu ihren Eltern sagen: Hört auf, israelische Zigaretten zu kaufen!

Man muß auch sehen, daß Siniora die Kampagne auf seine eigene politische Art betreibt. Er bleibt im Rahmen der israelischen Gesetze. Ich würde die Initiative auf eine viel breitere Grundlage stellen. Beispielsweise bin ich der Meinung, daß die Palästinenser aufhören sollten, Steuern zu bezahlen.

Die richtigen Ideen fehlen

Es ist die Kritik geäußert worden, der Zigarettenboykott lenke von breiten Protestaktionen ab. Sehen Sie in diesen Aktionen auch eine Form des gewaltlosen Widerstands?

Ja, das ist richtig. Auch Siniora weiß, daß die Bevölkerung der Flüchtlingslager das ganze Problem der Besatzung erst an die Öffentlichkeit gebracht hat. Siniora sagt nicht: Hört mit den Aktionen auf und raucht lieber keine israelischen Zigaretten mehr. Er fügt den Protestaktionen nur eine weitere Kampagne hinzu. Es gibt Leute, die nicht direkt an den Aktionen beteiligt sind, Ärzte, Lehrer, Geschäftsleute. Aber auch sie wollen etwas tun, und für sie bedeuten Aktionen des zivilen Ungehorsams die Möglichkeit, selbst zu handeln.

Der israelische Experte für die besetzten Gebiete, Meron Benvenisti, hat erklärt, eine Kampagne des zivilen Ungehorsams könne sehr wirksam sein, aber ein Wirtschafts- und Konsumboykott würde nur die Palästinenser selbst treffen, die mittlerweile völlig von Israel abhängig seien. Sind Sie auch der Auffassung, daß den Palästinensern eine alternative Existenzmöglichkeit fehlt?

Die Analyse Benvenistis ist durchaus interessant. Aber ich sehe die Dinge anders. Wenn sich der Aufstand weiter entwickelt, werden die Leute auch bereit sein, größere Opfer auf sich zu nehmen. Sie brauchen nur die richtigen Ideen für Aktionen. Als ich die Zäune um die Flüchtlingslager sah, habe ich den Leuten gesagt: Reißt die Zäune nieder. Schließlich sind wir doch keine Esel oder Affen im Zoo. Das ist ein Beispiel für gewaltlosen Widerstand.

Was die Bumerang-Wirkung eines Wirtschaftsboykotts angeht, so muß man sehen, daß die Weißen in den USA zu Martin Luther King gesagt haben: Nimm Vernunft an! Ihr Schwarzen werdet doch nur selbst unter dem Boykott leiden, wenn ihr unsere Produkte nicht kauft. Natürlich werden wir Palästinenser darunter leiden. Aber im Rahmen dieser Entwicklung lernen wir, daß der Preis der Freiheit hoch ist.

Dem Töten ein Ende setzen

Was erwarten Sie von der Weltöffentlickeit?

Wir haben uns in den letzten Tagen an die USA und Frankreich mit der Bitte um Hilfslieferungen gewandt. Wir werden ganze Schiffsladungen voll brauchen, um einen Boykott zu realisieren. Man muß in Betracht ziehen, daß Israel versuchen wird zu verhindern, daß solche Lieferungen ankommen. Doch es handelt sich um eine langfristige Kampagne. Einstweilen haben wir folgende Forderungen formuliert: Freilassung der Festgenommenen, Auflösung der Gefangenenlager, keine Ausweisungen, Rückkehr wenigstens einiger der Verbannten, Abzug der israelischen Truppen aus den Lagern und arabischen Ortschaften, Familienzusammenführung, keine Zerstörung von Häusern (als Strafmaßnahme, d.Red.), Bauerlaubnis für Palästinenser, Pressefreiheit, keine Schließungen von Schulen und Universitäten, Ende von illegalen und willkürlichen Steuereintreibungen, freie Wahlen von Bürgermeistern und Ortsräten in den besetzten Gebieten.

Diese Forderungen haben mit Politik nichts zu tun. Ich habe viele Vorschläge gehört und die Punkte ausgewählt, die der Bevölkerung am wichtigsten sind. Dies ist meine eigene Kampagne, um dem Töten ein Ende zu setzen. Ich rede nicht über Verhandlungen mit der PLO, die Forderung nach palästinensischer Selbstbestimmung. Es geht mir nicht um politische Manöver. Wenn Israel einige unserer Forderungen erfüllt, kann es dazu beitragen, die Atmosphäre zu verbessern.

Soll auf diesem Weg ein Klima hergestellt werden, das politische Verhandlungen ermöglicht? Glauben Sie, daß beide Seiten einen Schritt aufeinander zu machen müssen, um dann neu zu überlegen, was weiter geschehen soll?

Genau. Wir müssen der Bevölkerung sagen, daß der Widerstand weitergeht, wir aber gleichzeitig den Weg zu denen offenhalten müssen, die unsere Gegner sind, um ihnen unsere Forderungen mitzuteilen, damit wir den toten Punkt überwinden. Das Terrain der politischen Verhandlungen muß der Führung der PLO vorbehalten bleiben. Wenn Israel den Übeln ein Ende setzen will, muß die Regierung beschließen, mit der PLO zu verhandeln. Und es steht zu hoffen, daß die PLO zu solchen Verhandlungen bereit ist. Das Gespräch führte Amos Wollin

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