INTERVIEW: Redeverbot führt zu Selbstisolation
■ Klaus Jünschke, ehemaliges Mitglied der RAF, zur Reaktion der Linken auf eine Amnestiedebatte
taz: Seit drei Monaten darfst Du die Haftanstalt verlassen, bist Freigänger, hast Wochenendurlaub und in dieser Zeit an mehreren Diskussionen zum Thema Versöhnung, Amnestie und zu dem Vorschlag der Grünen eines gesellschaftlichen Dialogs mit den Inhaftierten teilgenommen. Wie erlebst Du nach mehr als 15 Jahren die öffentliche Diskussion der Linken?
Klaus Jünschke: Sehr erfreulich an diesen Veranstaltungen war die Anwesenheit der gesamten politischen Szene, ein sehr großes Interesse, sich zu informieren und auch zu fragen, was man tun kann. Unerfreulich und für mich gar nicht so recht nachvollziehbar war, warum diese ganz verschiedenen Gruppen von Autonomen und Anti-Impis bis hin zu den Mitgliedern der Bundestagsparteien nicht miteinander reden konnten und können.
Die einen fordern zum Beispiel entschieden Zusammenlegung der politischen Gefangenen und sprechen sich auch sehr rabiat gegen den Versuch der Grünen aus, eine politische Lösung zu finden. Andere fordern Amnestie für alle. Wenn sie sich zusammen auf bestimmte Forderungen einigen würden, hätten sie zumindest eine Aussicht, etwas zu erreichen. Möglich ist es, die Haftbedingungen erneut zu einem Thema auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zu machen und die Ächtung der Isolationshaft als Forderung durchzusetzen und allgemein bekannt zu machen.
Das ist eine sehr traditionelle Politik, die Du vorschlägst. Das Phänomen, mit dem man sich auseinandersetzen muß, ist doch die regelrechte „Apartheid“ im Umgang miteinander: Die einen wollen nicht nur mit den anderen nicht mehr reden, sondern auch andere daran hindern.
In Bremen haben neulich die Autonomen bei einer Veranstaltung gesagt, mit Klaus Jünschke und Heinrich Hannover wollen wir diskutieren, aber mit Justizsenator Kröning und der Antje Vollmer nicht. Da wurde ich gar nicht gefragt, wie ich das finde, sondern das haben die einfach so festgestellt. Dabei wird überhaupt nicht mehr reflektiert, daß unter Revolutionären oder zwischen Revolutionären und Reformisten es in der Weltgeschichte noch nirgendwo eine prinzipielle Frage war, ob Verhandlungen mit Gegnern oder auch mit Feinden zu führen sind. Wer behauptet, ein Teil der Linken zu sein, ein Revolutionär zu sein, also eine Mehrheit der Bevölkerung für eine andere Gesellschaft gewinnen will und dies zu erreichen glaubt, indem er dieser Bevölkerung schon auf dem Weg dahin vorschreibt, was und mit wem sie zu diskutieren hat, der malt Zeichen an die Wand, die tatsächlich nur Bilder von Gefängnis und Terror wiedergeben. All das führt zur Selbstisolierung der Linken und zu sonst gar nichts.
Heute abend treffen sich beim Bonner Justizminister Antje Vollmer, Martin Walser und Ernst Käsemann, um über den Vorschlag eines gesellschaftlichen Dialogs zu reden. Was, glaubst Du, kann bei diesem Gespräch herauskommen?
Das weiß ich nicht. Ich weiß nicht, ob ein Justizminister heute überhaupt noch in der Lage ist, sich gegen den Sicherheitsapparat durchzusetzen. Man muß sehen, wie Politiker, ja selbst Regierungen, kuschen, wenn aus dem BKA oder der Bundesanwaltschaft das Stichwort „Sicherheit“ kommt. Ich weiß daher nicht, inwieweit ein Justizminister der Bundesrepublik die Zivilcourage aufbringt, die überfälligen Entscheidungen in Sachen Haftbedingungen zu treffen. Mir ist eines wichtig: Man darf bei diesem Grünen-Vorschlag nicht den Gefangenen wie ein liberaler Pädagoge versuchen beizukommen, indem man sagt: Wir versuchen euch jetzt einen Rahmen zu eröffen, in dem ihr zusammenkommt, um zu diskutieren, wie eure kaputte oder falsche Identität aufgeht. Unabhängig davon, was die Gefangenen denken oder nicht, muß es eine unzweifelhaft deutliche Entscheidung sein, daß das Grundrecht der Menschenwürde und das Recht eines jeden Gefangenen, unversehrt in der Haft zu überleben, daß das dazu führen muß, daß die Gefangenen untereinander und nach außen hin frei reden können.
Dieser Raum muß eröffnet werden. Was die damit anfangen und ob sie davon Gebrauch machen, mit Politikern diskutieren oder mit Martin Walser oder Ernst Käsemann oder mit mir und anderen, ist deren Sache. Interview: Max Thomas Mehr
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