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INTERVIEWMomper hat die Seele der Partei gequält

■ Der Regierende Bürgermeister wurde am Wochenende von vielen Parteifreunden nur mit knirschenden Zähnen gewählt/ Interview mit dem Ex-Landesvorsitzenden Jürgen Egert

Der erste Gesamtberliner SPD-Vorsitzende heißt Walter Momper. Am vergangenen Wochenende schlossen sich 27.000 Sozialdemokraten aus West-Berlin mit 2.600 Sozis aus Ost- Berlin zusammen und wählten den Regierenden Bürgermeister zu ihrem neuen Häuptling — viele taten das allerdings zähneknirschend. 50 von 224 West-Sozis wollten ihn gar nicht erst nominieren. Denn Momper ist als Parteichef längst nicht mehr unumstritten. Er sei zu autoritär, kümmere sich zu wenig, degradiere die Partei zum Senatshilfsverein — so die härtesten Vorwürfe der Genossen. Wegen des bevorstehenden Wahlkampfes verzichtete die Parteilinke darauf, einen Gegenkandidaten aufzustellen — um des lieben Friedens willen. Andere bestehen aus Prinzip auf die Trennung von Amt und Mandat. Der Bundestagsabgeordnete und frühere Landesvorsitzende Jürgen Egert griff Momper wegen seiner Kandidatur öffentlich an. Die taz interviewte ihn am Rande des Parteitages.

taz: Sie haben sich dagegen ausgesprochen, daß Walter Momper erneut für den Landesvorsitz kandidiert. Warum?

Jürgen Egert: Für Sozialdemokraten ist Macht kein Selbstzweck. Und weil das so ist, verlangt die innere Gewichtung eine Trennung in die Funktion eines Regierenden Bürgermeisters, eines Fraktionsvorsitzenden und einen Landesvorsitzenden. Der zweite Grund ist, daß 'ne Partei 'ne Seele hat. Und die will gepflegt sein. Die fühlt sich nicht wahrgenommen, wenn der Regierungschef — natürlich unter den Gesichtspunkten zu regieren — seine Entscheidungen trifft. Das Selbstgespräch kurz vorm Einschlafen reicht da nicht aus, um den politischen Willensbildungsprozeß einer Partei widerzuspiegeln. Das waren die Gründe für meinen Appell an Walter Momper, nicht zu kandidieren. Wie Sie inzwischen wissen, hat er nicht gefruchtet.

Walter Momper hat also im letzten Jahr die Seele der Partei gequält?

Ja sicher. Momper quält uns, jeder Regierende Bürgermeister, der gleichzeitig Parteichef ist, würde das tun. Das ist strukturell so. Ein Bürgermeister hat andere Entscheidungskriterien als eine Partei, die im alltäglichen Geschäft ist.

Momper hat bei seiner Nominierung 50 Gegenstimmen bekommen, im Wahlgang waren es immerhin noch 40 Gegenstimmen. Ein Schuß vor den Bug?

Ohne meine Intervention wären das wohl noch mehr geworden. Das war ein Fingerzeig, weiter darüber nachzudenken, um irgendwann zu der Trennung von Amt und Mandat zu kommen.

Es gab mögliche Gegenkandidaten — Monika Buttgereit oder Gerd Wartenberg.

Ja, aber nur, wenn Momper den Weg frei gemacht hätte.

Glauben Sie, daß dieses Problem nach den Wahlen am 2.12. noch mal auf die Tagesordnung kommt?

Da bin ich sogar ziemlich sicher. Und zwar mit mehr Druck als bisher. Die Schlagkraft der Partei macht es notwendig, zu dieser Aufgabenteilung zu kommen.

Eine große Koalition in Berlin wird angesichts der unüberschaubaren Konstellationen im künftigen Parlament nicht mehr ausgeschlossen. Spätestens dann müßte Momper doch freiwillig sein Parteiamt abgeben — weil sich der Regierende Bürgermeister ja schlecht um die aufgeregte Parteibasis kümmern kann.

Ohne vor ihrer Frage weglaufen zu wollen: Ich setze mich für eine Fortsetzung der Koalition ein, die wir zur Zeit haben. Ich hab' nicht viel Schweiß und Energie auf sie verwendet, sie zu ermöglichen, um sie jetzt zur Disposition zu stellen — abseits aller Schwierigkeiten. Wenn es die Möglichkeit gibt, die Konstellation fortzusetzen, werde ich alles dafür tun, daß das auch passiert. Wenn die rechnerischen Überlegungen andere Erwägungen notwendig machen, wird man sicher auch über ihre Frage nachdenken. Ich wünsche mir das nicht, weil ich glaube, daß es stadtpolitisch ein falsches Signal wäre.

Das heißt: Walter Momper steht als Landesvorsitzender nach dem 2.12. so oder so zur Disposition?

Die Frage steht auch bei einer rot- grünen Koalition an. Die Aufgabentrennung hätte bei manchen Konflikten im Senat sehr hilfreich sein können. Die SPD hat Beschlüsse, die in der Nähe von Vorstellungen der AL waren. Ein unabhängig agierender Landesvorsitzender hätte da sehr hilfreich sein können.

Interview: CC Malzahn

Die Delegierten wählten sechs stellvertretende Landesvorsitzende, wovon zwei entsprechend der vereinbarten Quotierung aus dem Ostteil der Stadt kommen. Für die Präsidentin der Stadtverordnetenversammlung, Christine Bergmann, stimmten 267 (216 West/51 Ost) Delegierte, für Innenstadtrat Thomas Krüger 252 (201/51) Delegierte. Stellvertreter aus West-Berlin wurden der bisherige Geschäftsführende Landesvorsitzende Hans-Georg Lorenz (191 West/50 Ost), Parlamentsvizepräsidentin Marianne Brinckmeier (157/49), der Abgeordnete Klaus Böger (136/49) und die frühere Juso- Vorsitzende Monika Buttgereit (144/36).

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