INTERVIEW: »Fehlplazierungen abbauen«
■ Die Sozialverwaltung will junge behinderte OstberlinerInnen aus den Altenheimen herausholen/ Kapazitäten für Wohngemeinschaften sind noch dramatisch gering
Klaus Mielke, 43, ist Leiter der Abteilung für Behindertenangelegenheiten in der Sozialverwaltung. Diese Abteilung wurde vom rot-grünen Senat auf Druck der Behinderten eingerichtet. Die taz befragte Mielke zur aktuellen Lage der Behinderten in Ost-Berlin.
taz: In Ost-Berlin lebt eine große Zahl junger Behinderter im Altenheim. Kann diesen Leuten geholfen werden?
Mielke: Wir werden natürlich versuchen, die Fehlplazierungen in den Heimen abzubauen. Für das jetzige Haushaltsjahr haben wir 250.000 DM Vorlaufkosten für die Neukonzipierung von Heimen bzw. von ambulanten Wohnformen. Wir wollen weg von der stationären Unterbringung, hin zu Wohn- bzw. Betreuungsgemeinschaften, wo der einzelne Behinderte nur stundenweise Betreuung erfährt, und ansonsten versucht man durch Hilfestellung ein selbstbestimmtes Leben herbeizuführen. Wir schaffen im Jahr etwa 15 bis 20 solcher Wohngemeinschaften und haben dies auch für den Ostteil vor.
Nun leben im Ostteil Berlins nach Schätzungen des Behindertenverbandes an die 3.000 Behinderte im Heim. Zwanzig Wohngemeinschaften sind da nicht besonders viel.
Das sind zwanzig Wohngemeinschaften in der Größenordnung zwischen sechs und acht Behinderten. Da kann man, wenn Sie so wollen, 70/80 Menschen im Jahr aus der Fehlplazierung herauslösen. Aber man muß das natürlich auch in einem seriösen Vorlauf tun. Die entsprechenden Kapazitäten müssen da sein.
Die Antragsfristen von West-Behindertenausweisen betragen nach Auskunft des Behindertenverbandes für Behinderte aus dem Osten ein dreiviertel Jahr. Da können z.T. Pflegegelder, Rehabilitationsmittel nicht ausgezahlt werden...
Ein dreiviertel Jahr ist so nicht richtig. Wir haben im Westteil in der Regel eine Verfahrensdauer zwischen ein bis drei Monaten. In Ausnahmefällen geht das sicher auch mal bis sechs Monate. Wobei man sehen muß, daß wir im Schwerbehindertenbereich 150.000 Akten vom Osten übernommen haben. Das trägt sich nicht in Monatsfrist ab.
Der Gesetzgeber garantiert den Behinderten die »Teilnahme am öffentlichen Leben«. Glauben Sie, daß dieses Recht in der jetzigen Legislaturperiode in Berlin voll eingelöst werden kann?
Das Recht auf Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ergibt sich aus Paragraph 40 BSHG. Daneben haben wir im Land Berlin eine freiwillige soziale Leistung: den Telebus. Und das in einer Größenordnung, die sie in keinem anderen Land der Bundesrepublik finden. Wir haben im Jahre 1990 29,3 Millionen aufgewendet und zusätzlich für den Ostteil 6 Millionen beantragt. Interview: Gunnar Tausch
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