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INTERVIEWDas Recht harmonisieren — und doch den direkten Zugriff der einzelnen europäischen Regionen sichern

■ Interview mit dem italienischen Abgeordneten Gianni Lanzinger über Probleme der Rechtsangleichung in Europa

Lanzinger ist Abgeordneter der Grünen im italienischen Parlament und Sekretär des Präsidialamtes der Deputiertenkammer.

taz: Welche Probleme sehen Sie bei der Rechtsangleichung im Europa der Zwölf?

Lanzinger: Zunächst einmal, daß wir bereits jetzt eine ausgedehnte Gesetzgebung mit mächtiger Eigendynamik haben, und die ist oft nicht sonderlich positiv. Die EG hat die Manie entwickelt, sich um tausenderlei Spezialprobleme zu kümmern und dabei keine umfassende, organische Gesetzgebung von Grundprinzipien aufzubauen. Diese Detailmacke führt dann zu einer riesigen Aufblähung des administrativen Apparates. Woraus sich dann wieder das Problem der Anwendbarkeit in den einzelnen Staaten ergibt.

Gibt es da eine Abhilfe?

Zunächst muß man eines ändern: die Art, in Europa Gesetze zu produzieren. Europagesetze sollten vor allem Garantiecharakter tragen, bestimmte Grundrechte festschreiben, und das nicht nur für den einzelnen Bürger, sondern auch für Körperschaften jenseits von Regierung und nationalen Parlamenten. Statt alles und jedes bis in die Einzelheiten zu regeln, sollten die Europagesetze die Autonomie zum Beispiel der Landtage und Gemeinden feststellen, diesen untereinander Absprachen und Gesetzgebungen unter dem Europadach ermöglichen. Gerade auf der mittleren und unteren Ebene ergeben sich die bürgernächsten Probleme, und die werden von den nationalen Gesetzen überwiegend gar nicht erkannt oder abgedeckt. Erst dann wäre auch wirklich ein Europa der Demokratien nähergerückt, wenn man allen demokratischen Einrichtungen der Gemeinschaft solche Zugriffe einräumen würde.

Besteht nicht die Gefahr, daß Europa damit zu einem unübersichtlichen Verhandlungskoloß wird, mehr noch als heute schon, wo nur zwölf miteinander rangeln? Läßt sich der Sinn von Zugriffen der unteren Ebene durch ein Beispiel deutlich machen?

Der Umweltschutz etwa. Hier haben die meisten Staaten ihre eigenen Gesetze, aber selbst auf dieser Ebene sind sie meist unanwendbar, wenn man nicht die konkrete Normierung den Kommunen und Regionen überläßt. Der Schutz der Alpen bedarf anderer Vorschriften als der der Meere, die Schädigung durch wuchernde Schwarzbauten muß in Italien angegangen werden, ist aber in Deutschland nicht nötig, während umgekehrt in Deutschland von Atomreaktoren Gefahren ausgehen, die wir in Italien abgeschafft haben. Die Europanormen dürfen ausschließlich Maximallinien ziehen — etwa Umweltschutz als Grundrecht, mit einer Definition dessen, was Umwelt ist, und was Schädigung bedeutet.

Heute haben die meisten Juristen schon Schwierigkeiten, das unmittelbare Nachbarland zu verstehen. Wie sollen sie mit den Feinheiten einer weiter entfernten Region zurechtkommen?

Das ist sicher ein Problem. Darum sehen wir im 1.Januar 1993 längst keinen Termin für die Verwirklichung neuer Realitäten, sondern höchstens einen Anfang, der uns das gegenseitige Kennenlernen ermöglicht, als Basis für künftige gemeinsame Arbeit unter dem europäischen Dach. Interview: Werner Raith

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