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INTERVIEWÖzal will neue Kurdenpolitik

■ Jelal Talabani, Vorsitzender der „Patriotischen Union Kurdistans“ über ein autonomes Kurdistan und dessen Verhältnis zur Türkei

Jelal Talabani ist neben Masud Barsani die zentrale Figur im irakischen Kurdistan. Nach langen, auch persönlichen Auseinandersetzungen zwischen Talabani und der Barsani- Familie arbeiten beide jetzt erfolgreich zusammen: Talabani als „Außenminister“ der Kurden, Barsani als militärisch Verantwortlicher.

taz: Wie ist die gegenwärtige Lage in Kurdistan/Irak?

Jelal Talabani: Das irakische Kurdistan erlebt zur Zeit einen umfassenden Massenaufstand unter der Führung der irakischen Kurdistan- Front. Der überwiegende Teil Kurdistans hat sich erhoben und mit wenigen Ausnahmen befreit. Es ist das erste Mal in der kurdischen Geschichte, daß die kurdischen Großstädte Erbil, Kirkuk und Suleymania, aber auch Städte wie Koysindschak, Rowanduz, Amadia, Dehok und Zakho befreit sind.

Was sind ihre Pläne für den Aufbau von Strukturen in den befreiten Gebieten?

Wie ich aus Kurdistan erfahren habe, gibt es innerhalb der Kurdistan-Front Beratungen mit dem Ziel, einen Legislativrat zur Vorbereitung freier Wahlen zu ernennen, in dem alle Schichten des Volkes repräsentiert sind. Aus dem Legislativrat soll ein Exekutivrat hervorgehen, der in Irakisch-Kurdistan als Regierung fungiert. Das sind richtige und solide Schritte, die hoffentlich bald realisiert werden.

Gibt es eine Koordination zwischen dem Aufstand im Süden und dem in Kurdistan?

Innerhalb des Irak gibt es einen Dreierausschuß zur Koordination. Aber natürlich ist diese Koordination aufgrund der großen Entfernung und fehlender Funkverbindungen unzureichend und kann nicht täglich stattfinden. Auch gibt es keine gemeinsame militärische Führung. Trotzdem gibt es prinzipielle Gemeinsamkeit und eine gegenseitige Verbundenheit zwischen dem Aufstand in Kurdistan und dem Aufstand im Süden des Irak.

Was erwarten Sie im Irak in naher Zukunft? Besteht nicht die Gefahr, daß ein schiitisch-islamisches System an die Macht kommt?

Das ist meiner Ansicht nach aus mehreren Gründen nicht möglich. Erstens läßt die Zusammensetzung der irakischen Gesellschaft aus Schiiten, sunnitischen Arabern und sunnitischen Kurden das nicht zu. Zweitens gibt es im Irak mit der kurdischen Bewegung eine starke säkularistische und wohlorganisierte Kraft, die einen großen Einfluß auf die Zukunft des Irak haben wird. Es gibt zur Zeit einen starken Volkswiderstand im Irak, der gemeinsam von den Schiiten und säkularen und revolutionär-demokratischen Kräften getragen wird, und ich glaube nicht, daß man dem Irak ein schiitisch-islamisches System aufzwingen kann. Außerdem wird dies von den Freunden der schiitischen Bewegung auch nicht gefordert. All das bestärkt mich in der Ansicht, daß es in Zukunft keine schiitische Herrschaft im Irak geben wird.

Sie haben kürzlich die Türkei besucht. Was war der Grund dieses Besuches? Hat sich die Türkei etwa zu einem Freund des kurdischen Volkes gewandelt, und wie, glauben Sie, wirkt sich dieser Besuch auf die Kurden in der Türkei aus?

Wir sind auf Einladung der türkischen Regierung in Ankara gewesen. Wir haben die Standpunkte der Kurdistan-Front und des gemeinsamen Ausschusses der irakischen Opposition vorgetragen und versucht, die türkischen Vorbehalte gegenüber einer zukünftigen föderativen Ordnung im Irak auszuräumen.

Natürlich hat sich die Türkei nicht plötzlich vom Feind der Kurden zum Freund des kurdischen Volkes gewandelt. Vielmehr hat die Regierung der Türkei, die die Interssen bestimmter Schichten vertritt, eingesehen, daß in ihrem eigenen Interesse eine Veränderung in ihrer Kurdenpolitik notwendig ist. Es ist in ihrem Interesse, sich dem Demokratisierungsprozeß in Europa anzupassen, was ihnen als erstes auferlegt, die Rechte des kurdischen Volkes anzuerkennen. Außerdem ist die seit 67 Jahren betriebene kemalistische Politik der Türkifizierung und der Auslöschung der kurdischen Identität auf der ganzen Linie gescheitert. Heute stehen der Türkei mit 15 Millionen — das ist die Anzahl von Kurden in der Türkei, von der die türkische Regierung spricht — mehr als zehnmal soviel Kurden gegenüber, wie zu Beginn der kemalistischen Ära, als die Assimilationspolitik begann. Es stellt sich also nicht die Frage, ob sich die Türkei zum Freund gewandelt hat, sondern die Bedingungen in der Türkei haben sich verändert. Diese veränderten objektiven Bedingungen haben dazu geführt, daß sich die Haltung der türkischen Regierung verändert hat.

Meiner Ansicht nach ist Turgut Özal, die Führungspersönlichkeit in der Türkei, ein liberaler und der Welt gegenüber aufgeschlossener Geist. Er ist davon überzeugt, daß es im Interesse der Türkei ist, eine neue Politik zu beginnen, sich mit der kurdischen Bewegung außerhalb der Türkei auszusöhnen und schließlich die Rechte des kurdischen Volkes in der Türkei anzuerkennen. Dieses neue Verständnis von Turgut Özal verdient es, von seiten des kurdischen Volkes anerkannt und gewürdigt zu werden. Ich bin der Ansicht, daß die Anerkennung der Existenz des kurdischen Volkes und seiner kulturellen Rechte durch die Türkei ein Schritt von historischer Bedeutung ist.

Ich glaube, daß das in Zukunft große Auswirkungen auf die Türkei haben wird. Denn allein die türkische Anerkennung des kurdischen Volkes, die Anerkennung seiner Rechte und die Erkenntis, daß es ein kurdisches Problem gibt, das der Lösung bedarf, eröffnet der kurdischen Befreiungsbewegung neue Wege.

Unter den jetzigen internationalen Bedingungen, nach dem Zusammenbruch der Diktaturen in Osteuropa, glaube ich, daß die Türkei nicht als einzige Diktatur innerhalb der Nato fortbestehen kann. Ich glaube, daß die Türkei gezwungen ist, eine Demokratisierung einzuleiten, und das bedeutet, daß sie sich der kurdischen Frage annimmt. Unter diesen Bedingungen hängt sehr viel von der Kraft der kurdischen Bewegung in der Türkei ab, von den Fähigkeiten und dem Bewußtsein ihrer Führer, diese neuen Entwicklungen zu erkennen und damit umzugehen.

Wurde bei den Gesprächen die kurdische Frage in der Türkei thematisiert?

Die türkische Seite ist auf diese Frage eingegangen und wir haben unsere Ansichten zum Ausdruck gebracht. Wir haben gesagt, daß Demokratie und ein föderalistisches System die optimale Lösung ist, und daß eine Lösung zum jetzigen Zeitpunkt darin bestehen kann, kulturelle und politische Rechte, Freiheit für die politischen kurdischen Parteien zu gewährleisten, die kurdischen Gefangenen freizulassen und eine Amnestie für die kurdischen politischen Gefangenen zu verkünden.

In diesen Tagen jährt sich der Giftgasangriff auf Halabja, bei dem 5.000 Menschen getötet wurden, zum dritten Mal. Was denken Sie darüber?

Die schmerzlichen und furchtbaren Ereignisse von Halbja mit ihren ungeheuren Verlusten sind ein Wendepunkt in der kurdischen Geschichte. Dieses große Verbrechen, verübt von der faschistischen Dikatur im Irak, hat dazu geführt, die kurdische Sache in der Welt bekanntzumachen. Nach der Katastrophe von Halabja hat das kurdische Volk viele Freunde und Unterstützer gewonnen.

Haben Sie Forderungen an die Bundesregierung wegen der bundesdeutschen Beteiligung an der irakischen Giftgasproduktion?

Wir betrachten die Regierung der ehemaligen Bundesrepublik als mitverantworltich für die Verbrechen, die mit chemischen Waffen gegen das kurdische Volk begangen worden sind. Deshalb ist es nur gerecht, wenn das kurdische Volk Wiedergutmachung und Entschädigung entsprechend der Opfer und Schäden fordert.

Haben Sie vor, nach Irakisch- Kurdistan zurückzukehren?

Ich bin fest entschlossen, sobald wie möglich nach Kurdistan zurückzukehren, um mit den Freunden in der Führung der Patriotischen Union Kurdistans und der Kurdistan-Front zusammenzutreffen und meinen Beitrag zu dem Volksaufstand in Kurdistan zu leisten, der, so Gott will, siegreich sein wird. Interview: Salah Rashid

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