INTERVIEW: „Der Frieden in der Region ist bedroht“
■ Staats- und Völkerrechtler Daniel Thuerer (Zürich) über den Handlungsspielraum der UNO
taz: Herr Thuerer, Ihrer Ansicht nach sind die Voraussetzungen gegeben, daß der UNO-Sicherheitsrat erneut nicht nur wirtschaftliche Sanktionen gegen den Irak verhängt, sondern sogar zur Anwendung militärischer Mittel ermächtigt. Wie begründen Sie ihre Haltung?
Daniel Thuerer: Nach Artikel 39 der UNO-Charta kann der Sicherheitsrat unter drei Voraussetzungen nichtmilitärische oder militärische Zwangsmaßnahmen gegen einen Staat beschließen: wenn eine Bedrohung des Friedens, ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt. Im aktuellen Fall dürfte eine Bedrohung des Friedens gegeben sein. Zwar hat der Konflikt im Irak zum jetzigen Zeitpunkt noch einen vornehmlich innerstaatlichen Charakter. Doch stellen die durch Saddam Husseins Verfolgung der Kurden ausgelösten Flüchtlingsströme eine Bedrohung des Friedens in der Region dar. Dazu kommt, daß auch massive Menschenrechtsverletzungen immer einen friedengefährdenden Charakter haben. Bei einer Güterabwägung mit dem in Artikel 2, Absatz 7 der UNO-Charta festgelegten wichtigen Verbot des Eingriffs in die Souveränität von Staaten komme ich zu dem Ergebnis, daß die Bestimmungen des Artikels 39 im aktuellen Fall mehr Gewicht haben dürften.
Welche völkerrechtlich erfaßten Menschenrechtsverletzungen liegen vor?
Mit seinen militärischen Angriffen auf die kurdische Bevölkerung verstößt Irak gegen Artikel drei der 4. Genfer Konvention von 1949 zum Schutze der Zivilbevölkerung. Für die Einhaltung dieser humanitären Minimalgarantien sind sämtliche Unterzeichnerstaaten — zu denen unter anderen die USA und Großbritannien gehören — verantwortlich. Zweitens verletzt die Regierung in Bagdad aber auch etwa die — von ihr ratifizierte — UNO-Genozid-Konvention sowie die Konvention über die Beseitigung der rassischen Diskriminierung.
Gibt es Präzedenzfälle für ein Eingreifen des Sicherheitsrates?
Ja, zum Beispiel die Wirtschaftssanktionen der UNO gegen Südrhodesien und Südafrika. Auch damals handelte es sich primär um interne Menschenrechtsverletzungen.
Welche nichtmilitärischen Zwangsmittel könnte der Sicherheitsrat im aktuellen Fall beschließen?
Eine Fortführung der Wirtschaftssanktionen mit einem Mandat, das Mindestanforderungen formuliert bezüglich des Schutzes von Minderheiten, der Menschenrechte und demokratischer Grundsätze, deren Einhaltung durch die irakische Regierung vom Sicherheitsrat zu kontrollieren wären.
Welche militärischen Zwangsmittel wären denkbar?
Neben der Erneuerung des Mandats an die in der Region stationierten ausländischen Streitkräfte die Entsendung einer eigenen UNO-Truppe. Interview: Andreas Zumach
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