INTERVIEW: „Wir dürfen keine para-parlamentarischen Grauzonen zulassen.“
■ Otto Schily, Bundestagsabgeordneter der SPD, kritisiert die verabredeten Komissionen zwischen Regierung und Opposition als „Auszehrung des Parlaments“.
taz: Herr Schily, Sie gehören zu den Kritikern der zwischen Kohl und Vogel verabredeten Komissionen. Was ist denn problematisch daran, wenn Regierung und Opposition im Interesse der Neuen Länder kooperieren?
Ich habe nichts dagegen, wenn sich der Bundeskanzler mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden trifft; aber ich bin gegen die Einrichtung von Nebengremien, weil es sich dabei um Grauzonen am Rande des Parlamentes handelt, durch die Zuständigkeiten verunklart und Verantwortlichkeiten verwischt werden. In der Fraktionssitzung hat Hans Jochen Vogel für das Unternehmen argumentiert, in ungewöhnlichen Zeiten seien eben ungewöhnliche Maßnahmen erforderlich. Ich denke aber, gerade in solchen Zeiten wäre es nicht gut, wenn sich das wilhelminische Politikverständnis — Motto: wir kennen keine Parteien mehr, wir kennen nur noch Deutsche — durchsetzt würde. Im Gegenteil — gerade jetzt ist die Konkurrenz der Ideen im Parlament gefordert.
Halten Sie die Kommissionen für eine Entwertung des Parlamentes?
Wenn man das, was ins Parlament gehört, auslagert, dann ist das eine Auszehrung des Parlamentes. Mir hat bislang niemand zu erläutern vermocht, inwiefern die Themen der Arbeitsgruppen nicht genauso gut im Plenum des Bundestages und den Ausschüssen erörtert werden können. Dort kann die Regierung Auskünfte geben, sie kann unsere Einwände zur Kenntnis nehmen und sie kann auch unsere Vorschläge akzeptieren. Aber wir tun der Demokratie keinen Gefallen, wenn wir unsere Funktion als Opposition aufgeben, um zum stillen Teilhaber der Regierungsmacht zu werden.
Wie verbreitet ist diese Einschätzung innerhalb der SPD?
Die Skepsis ist weitverbreitet, auch wenn jetzt die Fraktion — unter relativ schwacher Beteiligung — den einstimmigen Beschluß gefaßt hat, das Vorhaben des Vorsitzenden zustimmend zur Kenntnis zu nehmen. Ich denke aber, in der Fraktion herrscht überwiegend die Ansicht, daß man sich da auf ein sumpfiges Gelände begeben hat und man heilfroh sein kann, wenn sich diese Idee ganze von selbst erledigt.
Dennoch hat ja die Regierung mit ihren jüngsten Beschlüssen so etwas wie Kooperationsfähigkeit mit den Sozialdemokraten angedeutet. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thierse hat von der „Sozialdemokratisierung der Regierung Kohl“ gesprochen.
Ich halte das für eine verfehlte Formulierung, auch wenn die Regierung unter dem Druck der Entwicklung sehr viel Terrain preisgeben mußte und jetzt als eigenes Programm ins Werk setzt, was sie früher als Unsinn gescholten hat. Das müssen wir in der Öffentlichkeit deutlich machen, ohne daß die Grenze zur Regierung verwischt oder die Vorstufe zur Tolerierung erreicht wird.
Wäre eine sichtbare Kooperation nicht ein ermutigendes Signal an die ehemaligen DDR-Bürger Innen? Andernfalls könnte sich im Osten der Eindruck durchsetzen, daß der parlamentarische Schlagabtausch zwar nach wie vor gut funktioniert, aber Entscheidungen, die die Situation verbessern, ausbleiben.
Wir sollten uns auch angesichts solcher Stimmungen nicht auf eine para-parlamentarische Form der Zusammenarbeit einlassen. Wir dürfen uns nicht in eine Verantwortung hineinziehen lassen, die wir nicht übernehmen können, weil wir nicht Teil der Regierung sind — weder personell noch programmatisch. Wenn das einige Menschen in der ehemaligen DDR noch nicht so ganz begriffen haben, oder nicht annehmen wollen, dann muß das eben erst mal gelernt werden.
Man hat den Eindruck, daß die Spaltung zwischen Ost und West heute tiefer ist, als während der staatlichen Teilung. Ist das in Bonn schon angekommen?
Ich habe doch den Eindruck, wir machen hier business as usual, flankiert mit einigen pathetischen Erklärungen. Aber daß wir den Prozeß wirklich angenommen hätten, daß wir begreifen, die neue Bundesrepublik ist eine andere als die alte, westliche, den Eindruck habe ich nicht. Ich bin doch negativ beeindruckt, wieviele Anhänger der liebgewordene Status quo hier in Bonn hat. Interview: Matthias Geis
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