INTERVIEW: Bundestag soll bei UNO-Einsatz mitentscheiden
■ Bundesjustizminister Klaus Kinkel (FDP) zu geplanten Änderungen des Grundgesetzes
taz: Herr Kinkel, die Bürgerbewegungen der ehemaligen DDR sowie Teile der SPD plädieren für eine grundlegende Revision des Grundgesetzes, weil es als provisorische Verfassung konzipiert ist. Den ehemaligen DDR-BürgerInnen sei ein Mitwirkungsrecht versagt geblieben, und außerdem müsse die Verfassung der Vereinigung beider deutscher Staaten Rechnung tragen. Überzeugen Sie die Argumente nicht?
Klaus Kinkel: Ich bin in der Tat gegen eine Grundsatzrevision, weil ich das Grundgesetz inhaltlich für einen Glücksfall halte. Wir sind der Meinung, das Grundgesetz ist gut. Es ist verbesserungsfähig, in einigen Punkten auch verbesserungsbedürftig, aber nicht generell überholungsbedürftig — auch nicht durch die Wiedervereinigung. Natürlich darf eine Verfassung nicht statisch sein, sie muß sich weiterentwickeln. Dennoch sollten wir uns auf die wirklich notwendigen Änderungen beschränken.
Wäre es nach der überstürzten Einigung nicht sinnvoll, die staatliche Einheit mit einem Verfassungsgebungsprozeß abzuschließen, in dem die ehemaligen Bürger und Bürgerinnen der DDR ihre spezifischen Erfahrungen und die daraus abgeleiteten Forderungen einbringen könnten?
Ich wünsche mir durchaus, daß Erfahrungen und Erwartungen aus der früheren DDR in die Beratungen einfließen. Das bedeutet auch, daß das Bündnis 90 an diesem Prozeß mitwirken können muß.
... auch mitentscheiden können muß?
Ja, der Bundestag entscheidet über die Verfassung. Im Bundestag ist das Bündnis 90 vertreten.
Im Änderungskatalog, den die Koalition vorlegt, ist eine vom Bündnis 90 und Teilen der SPD geforderte plebiszitäre Erweiterung des Grundgesetzes nicht vorgesehen. Auch soziale Staatsziele, wie sie am Runden Tisch erwogen wurden, fehlen.
Ich bin der Meinung, daß soziale Staatsziele nicht ins Grundgesetz müssen, weil wir schon die durch das Bundesverfassungsgericht weiterentwickelten Ansatzpunkte zur sozialen Verpflichtung in den Artikeln 14 und 20 des Grundgesetzes haben. Im übrigen würden wir den Menschen etwas vorgaukeln, was wir in der Praxis nicht einlösen könnten. Was die Forderung nach plebiszitären Elementen betrifft, so habe ich Verständnis dafür, daß in der nachrevolutionären Phase der ehemaligen DDR die basisdemokratischen Elemente gestärkt wurden. Nachdem die Bundesrepublik die Entscheidung für eine repräsentative Demokratie getroffen hat, finde ich jedoch, daß wir dieses Prinzip, das sich bewährt hat, auch durchhalten sollten.
Das Staatsziel Umweltschutz im Grundgesetz ist seit einiger Zeit Konsens zwischen Regierung und Opposition. Sie wollen es mit einem Gesetzesvorbehalt garnieren. Läuft das nicht in der Praxis auf eine Beschneidung dieses Staatsziels hinaus?
Das ist nicht richtig. Ich will keinen restriktiven Gesetzesvorbehalt, sondern Auftrag und Verpflichtung für den Gesetzgeber, das Staatsziel konkret zu verwirklichen.
Schon gegenüber den Staatszielen gibt es den Einwand, es handele sich dabei nur um wohlklingende Formeln, die nicht einklagbar sind und damit für die Praxis wenig Bedeutung haben. Ein Gesetzesvorbehalt würde diese Tendenz doch noch verstärken?
Staatsziele sind keine Grundrechte und damit auch nicht einklagbar. Andererseits sind Staatsziele aber mehr als Verfassungslyrik. Mit dem neuen Staatsziel soll klargelegt werden, welche Bedeutung dem Umweltschutz zugewiesen wird. Er steht dann an oberster Stelle in der Verfassung als konkrete Handlungsanweisung für alle staatlichen Stellen.
Im Zusammenhang mit dem Asylrechtsartikel 16 möchten Teile der Union einen Gesetzesvorbehalt einführen, nicht um das Grundrecht auf Asyl auszubauen, sondern um die Praxis zu verschärfen.
Artikel 16 ist historisch bedingt. Millionen Menschen mußten unter der Nazi-Herrschaft in anderen Ländern Aufnahme suchen, um ihr Leben zu retten. Das war unter anderem Ausgangspunkt für den Verfassungsgeber, den Artikel 16 so zu formulieren — pur. Deshalb wende ich mich dort kategorisch gegen jede Änderung.
Mit Ihnen ist eine Änderung des Artikel 16 nicht zu machen?
Richtig, da bin ich persönlich sehr hart und dezidiert.
Zum Änderungspaket gehört auch die grundgesetzliche Sanktion von Bundeswehreinsätzen im Rahmen von UNO-Aktionen. Weil die Zustimmung der Sozialdemokraten fraglich ist, wird in der Union argumentiert, ein Truppeneinsatz im Rahmen der UNO decke das Grundgesetz schon jetzt.
Ich lasse mich auf die verfassungsrechtliche Auslegung dieser Frage nicht ein. Es ist jedenfalls verfassungspolitisch notwendig, das explizit ins Grundgesetz aufzunehmen.
Können Sie sich vorstellen, daß am Ende nur die mögliche Beteiligung an Blauhelmeinsätzen beschlossen wird?
Das fände ich einen sehr schlechten Kompromiß, weil wir unserer gewachsenen internationalen Verantwortung nicht gerecht werden, wenn wir die Bundeswehr nur mit der Blume im Gewehr zu solchen Einsätzen schicken. Nein, ich bin der Auffassung, daß wir mindestens den generellen Einsatz unter UNO-Oberhoheit regeln müssen. Ich denke darüber hinaus, daß auch ein Einsatz wie der im Irak möglich sein müßte. Das würde ja keinen Automatismus beinhalten, sondern im konkreten Fall eine freiwillige Entscheidung für oder gegen einen solchen Einsatz.
Gibt es in dieser Frage Kompromißvarianten zwischen Regierung und Opposition?
Bei einem Gesamtpaket gehe ich davon aus, daß nicht nur im Falle eines UNO-Einsatzes, sondern auch bei der Frage des Bündnisfalls die Entscheidung, die rechtlich bisher der Regierung zusteht, auf das Parlament übertragen wird.
Sie haben sich für eine Zulassung des kommunalen Ausländerwahlrechts ausgesprochen.
Die FDP hat sich, soweit ich weiß, in dieser Frage nicht festgelegt. Ich würde dafür werben, daß das geschieht. Ich könnte mir vorstellen, daß das eventuell auch mehrheitsfähig ist. Mir liegt persönlich sehr viel an einer solchen Regelung.
SPD, FDP und führende Unionspolitiker haben sich für eine Volksabstimmung über das veränderte Grundgesetz ausgesprochen. Kritiker möchten den BürgerInnen unterschiedliche Veränderungsvarianten zur Abstimmung vorlegen. Könnten Sie sich dafür erwärmen?
Das sind zu früh gelegte Eier. Man muß zunächst eine prinzipiellere Frage klären: müssen die einzelnen Änderungen vor einer Volksabstimmung mit Zweidrittelmehrheit des Bundestages beschlossen sein, oder stellt man sofort das Grundgesetz mit den Änderungsvorschlägen zur Volksabstimmung? Das ist deshalb wichtig, weil zu Recht die Frage gestellt wird, was passiert, wenn die Bevölkerung nein sagt. Stimmt das Volk nur über die geplanten Änderungen ab und entscheidet mit „Nein“, würde wohl das „alte“ Grundgesetz weiter gelten. Im ersten Falle, bei dem der Bundestag die Änderungen bereits beschlossen hätte, ist die Frage, was gilt bei einem negativen Ergebnis der Volksabstimmung, schwieriger zu beantworten. Die von ihnen angesprochene Möglichkeit, Alternativen zur Abstimmung zu stellen, wäre eine dritte Variante. Politisch ist das denkbar. Daß es so kommen wird, wage ich zu bezweifeln. Ich glaube überhaupt — da bin ich Realist — daß am Ende sehr viel weniger Änderungen beschlossen werden, als heute noch vermutet wird. Das Interview führte Matthias Geis
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