INTERVIEW: „Ich bleibe Politiker“
■ Eduard Schewardnadse, Ex-Außenminister der UdSSR, im Gespräch
taz:Herr Schewardnadse, freuen Sie sich über Boris Jelzins Wahlsieg?
Eduard Schewardnadze: Ich halte seine Wahl für positiv. Das Volk hat ihn gewählt, jetzt muß er das Vertrauen des Volkes rechtfertigen. In seinem Wahlprogramm finden sich Vorschläge für die rasche weitere Demokratisierung und für den beschleunigten Übergang zur Marktwirtschaft. Das begrüße ich.
Wie stabil ist das Abkommen von Nowo Ogorjewo, das Gorbatschow im April mit Jelzin und acht weiteren Republikchefs abschloß?
Ich glaube, das war wirklich ein wichtiges Ereignis. Allein, daß sich die neun Republiken zum Abschluß des neuen Unionsvertrages bereiterklärt haben und daß das Zentrum jetzt die souveränen Rechte der Republiken anerkennen will, macht das Abkommen zu einem Wendepunkt.
Aber wird das Abkommen standhalten? Besteht nicht die Gefahr, daß Gorbatschow erneut die Seiten wechselt und wieder mit den Dogmatikern zusammengeht?
Die augenblickliche Bündniskonstellation ist die einzige, die den Interessen und den Wünschen des sowjetischen Volkes als Ganzem und den Völkern der einzelnen Republiken entspricht. Es geht um einen gangbaren Weg hin zur Demokratie. Nicht nur Gorbatschow, jede andere sowjetische Führung muß diesen grundlegenden Wunsch berücksichtigen, wenn sie etwas erreichen will.
Sind Sie also der Auffassung, daß jetzt der Weg frei ist für einen Abschluß des Unionsvertrages noch in diesem Jahr?
Das duldet nicht den geringsten Aufschub. Auf dem Spiel steht die Verwirklichung des gesamten Reformprojekts, die von dem Vertragsabschluß abhängt. Es geht um die Stabilität unseres Staates, was auch international von Bedeutung ist.
Identifizieren Sie sich mit dem Projekt schneller und schmerzhafter Schritte der ökonomischen Umgestaltung, für das Schatalins „500 Tage“ stehen oder plädieren Sie eher für eine langsamere Gangart?
Schatalins Programm war das radikalere, kühnere. Ich unterstützte es, aber es wurde, wie Sie wissen, abgelehnt. Soziale Abfederungen sind notwendig, aber in den „500 Tagen“ waren Mechanismen des sozialen Ausgleichs und der Hilfe für die Schwachen vorgesehen.
Die demokratischen Kräfte in der UdSSR sind nicht gerade einig. Wie stellt sich Ihnen der Zustand der demokratischen Bewegung dar?
Wissen Sie, es gibt im Augenblick eine Unzahl demokratischer Parteien, Gruppen und Bewegungen. Aber eines ist klar: Über kurz oder lang muß diese Vielfalt in eine Struktur gebracht werden. Natürlich sind weitere Debatten notwendig, aber wir müssen uns irgendwann auf einen gemeinsamen Nenner einigen.
Haben Sie Ambitionen, selbst in diesen Prozeß einzugreifen, sich politisch zu reaktivieren?
Ich habe nie aufgeört, Politik zu machen, gegenwärtig im Rahmen der sowjetischen außenpolitischen Assoziation, deren Präsident ich bin. Eine Arbeit, die wichtig ist. Jetzt bin ich ein ungebundener, freier Mensch, das ist ein angenehmer Zustand. (Gestern wurde bekannt, daß Schewardnadse eine demokratische Partei gründen will, C.S.)
Wird die demokratische Entwicklung noch von den Konservativen und Dogmatikern bedroht? Trifft Ihre Prognose vom letzten Dezember weiterhin zu, nach der mit einer Diktatur gerechnet werden muß?
Ich kann nur wiederholen: Die Gefahr, von der ich im Dezember sprach, ist weiterhin virulent. Es ist das ökonomische und politische Chaos, das einem Diktator — aus welcher Richtung er auch kommen mag — den Weg bereitet. Es gibt in dieser Einschätzung gar keine Differenz zwischen Gorbatschow und mir. Wir können allerdings sagen, daß in den letzten Monaten die Zeichen für eine hoffnungsvolle Entwicklung sich mehren.
Sie sprachen mehrfach davon, daß den Nationen der Sowjetunion das Selbstbestimmungsrecht zusteht, sie sich allerdings an den gesetzlich vorgeschriebenen Weg des Austritts halten müssen. Gilt das auch für die baltischen Staaten?
Ich möchte hier ungern die Republiken in unterschiedliche Kategorien aufteilen. Die Verfassung gilt gleichermaßen für alle Republiken. Alle haben das Recht auf Selbstbestimmung, einschließlich des Austritts aus der Union.
Meine Frage zielte auf den Umstand, daß die baltischen Staaten seinerzeit nicht freiwillig der Union beigetreten sind — Georgien übrigens auch nicht. Sie wären demnach nicht verpflichtet, sich an die Austrittsprozedur zu halten.
Das Wichtigste in diesem Zusammenhang sind nicht die Verfahrensfragen. Hauptsache, die Republiken haben das Austrittstrecht und können es auch nutzen.
Bedauern Sie den Entschluß Georgiens, auszutreten?
Ich habe schon gesagt, daß das Austrittsrecht verfassungsgemäß verbrieft ist und Georgien kann von diesem Recht Gebrauch machen. Das Volk von Georgien hat seine Wahl getroffen — das muß berücksichtigt werden.
Haben Sie Ihre georgischen Freunde dazu zu übereden versucht, bei der Union zu bleiben?
Nein. Hab' mich überhaupt nicht eingemischt.
Sie haben seinerzeit den Resolutionen der UNO gegen den Irak zugestimmt. Stört es Sie nachträglich, daß die UNO-Operationen zur Befreiung Kuwaits fast ausschließlich eine Sache der USA und ihrer Alliierten waren?
Die gesamte Intervention entsprach den Resolutionen des UNO- Sicherheitsrates. Sie bildeten deren legale Basis.
Mir ist nicht aufgefallen, daß die UNO beziehungsweise ein von ihr Bevollmächtigter die Truppen kommandiert hätte.
Das war für die Erfüllung der Sicherheitsresolutionen nicht nötig. Ich glaube, Sie wollen auf etwas anderes hinaus, nämlich auf die Frage, wie in Zukunft solche Krisen gelöst werden können. In der Charta der Vereinten Nationen existiert ja eine Bestimmung, nach der, wenn ein Aggressor mit bewaffneter Gewalt gegen ein anderes Land vorgegangen ist, er — ebenfalls bewaffnet — in seine Schranken verwiesen werden kann. Aufgrund von Konsultationen und einer Resolution des Sicherheitsrates könnte eine militärische Stabsstelle aktiviert, ein Oberkommandierender ernannt und könnten UNO- Truppen mobilisiert werden. All diese Instrumente stehen bereit. Ich mache den Vorschlag, sie zu nutzen.
Das steht auf dem Papier.
Der Stab besteht formal durchaus, nur hat der Mechanismus bisher nicht gegriffen.
Halten Sie eine Reform der UNO-Institutionen für wichtig?
Meiner Meinung nach ist es jetzt das Wichtigste, daß bereits in der Charta der UNO niedergelegte Potential sinnvoll zu nutzen.
Werden Sie als UNO-Generalsekretär zur Verfügung stehen, wenn Perez de Cuellar eine dritte Amtszeit ausschlägt?
Der Generalsekretär ist ein guter Mann. Er sollte überredet werden, weiterzumachen.
Herr Schewardnadse, wie sozialdemokratisch-menschewistisch ist ihr Kommunistisches Glaubensbekenntnis heute?
Ich bin Demokrat und fühle mich der demokratischen Bewegung verbunden. Damit ist zugleich die Frage nach meinem Verhältnis zur kommunistischen Ideologie beantwortet. Interview: Christian Semler
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