INTERVIEW: „Wir hoffen auf eine direkte Intervention der EG und der USA“
■ Der Albanologe Ibrahim Rugova, Vorsitzender der stärksten Kosovo-albanischen Partei, spricht sich für den Anschluß des Kosovo an Albanien aus.
taz: Herr Rugova, wenn ich mir die politische Landschaft noch vor einem Jahr hier in Kosovo und auch in Serbien vergegenwärtige, dann erinnere ich mich an die Hoffnungen auf die Demokratisierung der Gesellschaft. Auch Sie persönlich glaubten damals, daß sich die Lage der albanischen Bevölkerungsmehrheit in Kosovo unter demokratischen Verhältnissen quasi automatisch verbessern würde.
Ibrahim Rugova: Die Hoffnungen sind gescheitert, weil sich weder Serbien noch Jugoslawien wirklich demokratisiert haben. In Serbien hat sich bei den unter wirren Umständen abgehaltenen Wahlen im Dezember die alte kommunistische Partei wieder durchgesetzt, deren Politik völlig antialbanisch ist. Ihr Ziel ist es letztendlich, die Albaner aus dem Kosovo zu vertreiben. Seither hat die serbische Regierung den auch schon vorher existierenden ungeheuren repressiven Druck auf uns verstärkt. So wurde zum Beispiel das Parlament in Kosovo aufgelöst. Es gibt außer der Polizei keine funktionierenden Behörden mehr.
Das ist ja eine sehr weitgehende Anschuldigung.
Aber sie ist wahr. Die Regierung Kosovos wurde durch eine Polizeiaktion aus dem Gebäude vertrieben, die Delegierten und die Mitglieder des Parlaments werden jetzt noch strafrechtlich verfolgt, die meisten sind geflohen und befinden sich im Exil. Die Polizei hat auch die Gebäude der Fernsehanstalt besetzt, die Live-Bilder davon gingen um die Welt. Die albanischsprachige Tageszeitung 'Relindja‘ wurde eingestellt. Schulen wurden geschlossen, die albanischen Lehrer wurden nicht mehr bezahlt, vor den Kliniken stehen bewaffnete Kräfte, albanische Ärzte wurden entlassen. Die medizinische Fakultät ist seit einem Jahr geschlossen, ständig kommt es zu Massenentlassungen albanischer Arbeiter. Auch ich bin persönlich betroffen, weil das albanologische Institut, wo ich angestellt bin, keine finanziellen Mittel mehr bekommt.
Die serbische Seite führt an, sie wolle nur die legale Ordnung durchsetzen, so wie sie durch die Verfassung vorgegeben ist. Sie wirft Ihnen und der albanischen Bewegung vor, Kosovo aus Jugoslawien abspalten zu wollen und mit allen Mitteln zu versuchen, die serbische Kultur und die serbischen Menschen aus Kosovo hinauszudrängen.
Das ist eine ungeheure Lüge, die seit 100 Jahren von serbischer Seite wiederholt wird. Wir fordern lediglich die Gleichberechtigung der Albaner, die mit drei Millionen Menschen das drittgrößte Volk in Jugoslawien bilden. Was den Vorwurf angeht, wir zerstörten die serbische Kultur hier in Kosovo, dann sollte daran erinnert werden, daß wir Kirchen und Klöster auch als einen Teil unsererer eigenen Kultur betrachten, schließlich sind ein beträchtlicher Teil der Albaner Christen.
Ein Beweis, daß alles Propaganda ist, stellt die Tatsache dar, daß gerade jetzt, in einer Zeit, in der die serbische Regierung hier alles kontrolliert, noch immer Serben aus Kosovo auswandern.
Der Druck auf die Albaner begann 1987 mit der Machtübernahme von Slobodan Milosevic in Serbien, serbische Extremisten fordern jetzt offen die Austreibung der Albaner aus dem Kosovo. Angesichts dieser bedrohlichen Sitution und auch angesichts der ungeheuerlichen Ruhe und Disziplin, die von den Albanern in Kosovo an den Tag gelegt wurde, frage ich mich, welche politischen Möglichkeiten es für Sie außer Demonstrationen, wie die der 400.000 in der vorigen Woche, eigentlich noch gibt?
Wir insistieren auf einer politischen Lösung des Kosovo-Problems, auf einen Dialog ohne Vorbedingungen, der bisher von Serbien und auch der Föderation abgelehnt wurde. Wir haben ihr Angebot, einen Krieg zu führen, nicht angenommen. Wir hoffen auch auf die Einflußnahme der EG und der USA, damit Jugoslawien und Serbien zu einem Dialog gezwungen werden.
Spielen wir das doch einmal konkret durch. Erstens: Jugoslawien bleibt zusammen. Was fordern sie dann?
Dann verlangen wir den Status einer Republik, die auf demokratischen Prinzipien beruht, und die nicht nur für die Albaner, sondern für alle Volksgruppen da ist. Wir werden keinen Revanchismus erlauben, keine Racheakte. Wir haben selbst so stark unter der Repression gelitten. Bei einer Aufspaltung Jugoslawiens wollen wir kein Überbleibsel sein. Das wäre für uns unerträglich. Ich glaube fast schon nicht mehr daran, daß Jugolslawien noch eine Chance hat, es scheint keine Kompromißmöglichkeit mehr zwischen den unterschiedlichen Nationen zu geben. Wenn Jugoslawien zerfällt, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns mit Albanien zu vereinigen.
Das würde in Serbien nicht hingenommen werden, selbst die Armee würde auf den Plan gerufen, weil damit die Grenzen verändert würden.
Wenn Jugoslawien zerfällt, wird es auch keine jugoslawische Armee mehr geben. Dann wird es nur noch Serben und Albaner geben. In einem solchen Fall, angesichts der Notwendigkeit der Veränderung der Grenzen, die im Vertrag von Versaille 1918 festgelegt wurden, werden selbstverständlich auch die Europäische Gemeinschaft und andere Mächte mit in die Verantwortung genommen. Bisher hatten wir die Frage der Grenzen nicht angetastet, denn wir glaubten, daß durch die europäische Integration wir alle hier, auch die Albaner, zu einem Teil Europas hätten werden können.
Nach der Bewaffnung serbischer Zivilisten, besteht die Gefahr großangelegter Provokationen. Die ganze Konstellation riecht nach Krieg, nach bewaffneter Auseinandersetzung. Sie wollen also die Einmischung von außen.
Ja. Wir würden in beiden Fällen einen bestimmten Druck von außen begrüßen. Die Europäische Gemeinschaft hat sich noch nicht klar über den Status von Kosovo ausgedrückt. Mehrere Regierungen Westeuropas behaupten, daß diese Frage eine „innere Angelegenheit“ Jugoslawiens sei. Sie wollen sich noch nicht in dieser Frage exponieren. Der serbische Staat profitiert von dieser Einstellung.
Falls der Ausstieg Sloweniens und Kroatiens tatsächlich zu einem Zusammenbruch Jugoslawiens führt, gleichzeitig der europäische Apparat zu schwerfällig ist, schnell zu reagieren, müssen Sie doch selbst handeln.
Wir müssen das Leben unserer Menschen erhalten, denn wenn es zu einer solchen schlimmen Entwicklung kommt, wird Serbien nicht zögern, gegen uns die Waffen zu erheben. Es wird viele Opfer geben. Wir selbst sind unbewaffnet, ich denke, daß dann die Intervention von außen einsetzen muß.
Was ist von Albanien zu erwarten? Sie haben Ramiz Alia unterstützt, gleichzeitig ihre Schwesterpartei, die Demokratische Partei. Ist das ein Zeichen dafür, daß Sie ein intaktes, nicht zerrüttetes Albanien haben wollen, solange es geht.
Ich möchte, daß Albanien seine Reformen auf friedliche Weise durchsetzt. Wir wollen ein offenes und wirtschaftlich starkes Albanien, weil ein solcher Staat uns helfen könnte. Mit der Aufnahme in die KSZE kann es in unserem Sinne diplomatisch aktiv werden. Interview: Erich Rathfelder
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