INTERVIEW: „Warten bis der nächste Tag kommt“
■ Karin Powser lebte 18 Jahre lang auf Platte/ Ihr Leben war nur im Suff zu ertragen
Karin Powser hat als Frau ohne Obdach unter Männern gelebt. Seit fünf Jahren hat die jetzt 42jährige eine Wohnung. Seitdem arbeitet sie ehrenamtlich im Kontaktladen für Obdachlose in Hannover. Auf dem Berberkongreß in Uelzen war Karin eine von sieben Frauen.
taz: 18 Jahre auf der Straße — was war das Schlimmste?
Karin Powser:Ausgesetzt werden. Ich bin sehr oft im besoffenen Zustand, wenn ich nicht mehr wußte, was ich tat, und aggressiv wurde oder Straftaten begangen habe, von der Polizei festgenommen und in der Zelle zusammengeschlagen worden — mit Fäusten, mit Knüppeln. Oder man hat mich mitgenommen und irgendwo im Wald ausgesetzt. Das ist mir sogar jetzt noch passiert, als ich schon meine Wohnung hatte. Aber ich wehre mich jetzt.
Was wollen Sie als Frau jetzt in Bewegung setzen?
Ich will die Öffentlichkeit mal wieder aufrütteln, daß es Armut noch gibt — und zwar vor ihrer Haustür. Aber nach zwei Tagen ist das doch wieder vergessen.
Wünschten Sie sich auch mal Kinder?
Ich wollte nie Kinder. Irgendwann ist mir auch bewußt geworden, daß ich keine bekomme. Das finde ich in Ordnung. Unser Leben ist eigentlich nur im Suff zu ertragen. Nüchtern kamen dann Depressionen, Ängste.
Wovor?
Das hing von der Umgebung ab. Den ganzen Tag warten, bis der nächste Tag wieder kommt. Langeweile kann auch stressig sein. Besonders am Wochenende, wenn die ganze Stadt tot ist. Wenn man nur am Bahnhof 'ne teure Bombe bekommt. Auch Duschen kann man nicht am Wochenende. Da muß gewaltig was geändert werden.
Kommt man auf der Straße nur mit Mann weiter?
Ich beobachte, wie bei uns in der Stadt die Frauen von Mann zu Mann weitergereicht werden. Das ist entwürdigend. Ich habe oft in Discos durchgemacht, bis ich dann so kaputt war, daß ich mit irgendeinem ins Hotel konnte, um ein Bett für die Nacht zu haben. Natürlich das Sexuelle dabei. Aber eins muß ich sagen: Wenn du mit einem Mann unterwegs warst, dann kam die Frau immer zuerst. Und dann erst der Alkohol. Fragen: Birgit Rambalski
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