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INTERVIEWInseln der Seeligkeit bei rot-grünen Gemeinden sind keine Lösung

■ Der Frankfurter Dezernent für Multikulturelles, Daniel Cohn-Bendit, hält es für falsch, die Flüchtlinge aus Hoyerswerda in Berlin unterzubringen

Angesichts der Bedrohung von Asylbewerbern in Hoyerswerda läuft in Berlin eine Kampagne an, die bedrohten Menschen dadurch vor Rechtsradikalen zu schützen, indem man sie nach Berlin holt und außerhalb staatlicher Einrichtungen unterbringt.

taz: Kann es für Sie eine Lösung sein, angesichts der Bedrohung in Hoyerswerda jetzt eine Kampagne zu starten, um diese Flüchtlinge nach Berlin zu holen und in Wohngemeinschaften oder Kirchengemeinden unterzubringen?

Daniel Cohn-Bendit: Solche Aktionen sind sehr sinnvoll, wenn man Menschen irgendwo unterbringt, die als einzelne von Behörden verfolgt werden und abgeschoben werden sollen — also von Formen des aktiven Ungehorsams oder der aktiven Solidariät.

Im Fall Hoyerswerda habe ich damit ein Problem. Ich war am Anfang energisch gegen die Umverteilung der Flüchtlinge in die neuen Bundesländer und habe gesagt, das wird nicht gutgehen. Die Bundesregierung hat aber anders gehandelt. Nun stehen wir vor einem doppelten Problem.

Einerseits sehe ich ein, daß man diese Flüchtlinge nicht instrumentalisieren darf, andererseits ist es aber von entscheidender Bedeutung, auch in den neuen Bundesländern die Rechtsnormen und den Rechtsstaat durchzusetzen. Und wenn man jetzt die Flüchtlinge dort herausholt, dann signalisiert man einfach einem Teil der Bevölkerung, daß man gewinnt, wenn man aktiv Putz macht. Dann haben die Rechten gewonnen.

Aber andererseits besteht eine Gefahr für Leib und Leben der Flüchtlinge in Hoyerswerda. Diese permanente Bedrohung wird durchbrochen durch eine Aktion, sie nach Berlin zu holen. Denn die politisch Verantwortlichen sorgen ja gerade nicht dafür, daß die Rechtsnormen dort durchgesetzt werden, sondern haben dieses Klima der Verhetzung noch geschürt.

Ich weiß von solchen Aktionen aus Frankfurt, wo Flüchtlinge untergebracht wurden, daß die Beteiligten das nicht lange durchhalten. Deswegen kommt dann natürlich die richtige Forderung an das Land Hessen oder Berlin, diese Menschen wieder aufzunehmen. Das wird dann aber ein Rechtsproblem. Die Flüchtlinge haben keinen Anspruch mehr, wenn sie den ihnen zugewiesenen Asylort verlassen haben. Sie verlieren die soziale Sicherheit und müssen ernährt werden.

Solange das Asylrecht im Grundgesetz garantiert ist, ist den Flüchtlingen auch ein bestimmtes Verfahren vom Staat garantiert. Mit solchen Kampagnen wird dem Staat etwas abgenommen, was man ihm nicht abzunehmen braucht.

Ich will nicht darauf beharrren, daß die armen Menschen jetzt unbedingt in Hoyerswerda bleiben müssen. Aber wenn man diese Menschen aus Sachsen und aus allen neuen Bundesländern herausholt, dann schafft man erstmal eine moralisch richtige Situation.

Ein freies WG-Zimmer genügt nicht?

Die Menschen, die helfen wollen, überfordern sich. Und sie überfordern auch die Asylsuchenden. Diese Menschen wollen staatlichen Schutz und eine geregelte Situation. Und sie wollen kein Leben in der Illegalität.

Individuell kann man sich die Unterbringung von Asylbewerbern überlegen. Aber Kampagnen haben immer einen demonstrativen Charakter. So einfach ist das nicht, mit einer zehnköpfigen Roma-Familie in einer Wohngemeinschaft zu leben. Diese Menschen haben ein Recht auf kollektive Wohnräume und nicht auf ein Zimmer in irgendeiner Wohngemeinschaft.

Notwendig sind also gesellschaftliches Klima und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, in der das Grundrecht auf Asyl und der Rechtsstaat garantiert werden können.

Ab dem Moment, wo du sagt, holt die Menschen zurück nach Frankfurt, kommen alle Menschen, denen es schlecht geht, nach Frankfurt. Mit einer solchen Forderung setzen wir gesellschaftlich nichts durch. Dann gibt es lediglich einige Inseln der Seeligkeit bei ein paar rot-grünen Gemeinden.

Außerdem werden die Autonomen und Linken in Berlin, wenn es dann vier- oder fünftausend Leute sind, bei der Flüchtlingsfrage im Kleinen genau an die gleichen Grenzen kommen wie die Städte.

Deswegen sage ich von vornherein: Staat, du mußt handeln. Ich finde, die Öffentlichkeit muß jetzt dafür sorgen, daß Diepgen und alle den Rechtsstaat, den sie wollen, in Hoyerswerda durchsetzen. Da müssen sie hingehen. Momper und Diepgen, Hand in Hand und Kuß in Kuß. Interview: Gerd Nowakowski

Siehe auch Seite 21

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