INTERVIEW: „Kontrollen sind zu lax“
■ Michael Sailer vom Darmstädter Öko-Institut kritisiert die Sicherheitsmaßnahmen in Atomanlagen
taz: Wie ist es möglich, daß Atombrennstäbe verschwinden und jahrelang nichts davon bemerkt wird?
Michael Sailer: Normalerweise überprüfen internationale Behörden wie die Internationale Atomenergie- Organisation in Wien (IAEO) und Euratom nur die Bücher, die über die Spaltstoffe einer Anlage geführt werden. Hin und wieder werden außerdem Stichproben gemacht, ob die Angaben in den Büchern mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Eine systematische Bestandsaufnahme von Spaltstoffen nehmen die Behörden in der Regel nicht vor. Dazu fehlt das Personal.
Kann es sein, daß die Kontrolleure Bleirohre mit Brennelementen verwechseln?
Im Prinzip schon. Wenn die Brennelemente zerlegt werden, fehlen die unterscheidenden Kennzeichen, zum Beispiel die Typenschilder. Die gibt es nur für die Bündel. Man kann die Brennstäbe nach dem Zerlegen zwar noch abzählen, aber ihre Herkunft nicht mehr nachweisen.
Und die Bleirohre?
Die Kontrolleure dürfen nicht, wie etwa die Kripo oder die Staatsanwaltschaft, nachbohren. Es gibt genau vereinbarte Kontrollverfahren, in denen auch die Meßmethoden festgelegt sind. Und wenn diese Methoden nicht reichen, kann man nicht kontrollieren. In Deutschland ist auch eine gewisse Laxheit zu beobachten: Die deutschen Behörden gehen in der Regel davon aus, daß Kontrolle die Aufgabe der internationalen Behörden sei. Es zählen im Normalfall also nur der Betreiber selbst und die internationale Behörde. Und keiner von beiden nimmt die Aufgabe so richtig ernst. Die einen wollen oft nicht, die anderen können meist nicht.
Ist das in Deutschland üblich?
Ja. Der Vorwurf gilt im Prinzip allen Atomanlagen. Die Leute in Karlsruhe sind besonders dafür bekannt, daß sie diese Kontrollen für überflüssig halten. Sie nehmen die Kontrollen noch weniger ernst als andere. Die Atomanlage Karlsruhe ist aber auch etwas chaotischer als ein Atomkraftwerk. Im AKW verlieren die Betreiber sofort auch Geld, wenn etwas abhanden kommt. Interview: H.-J. Tenhagen
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