INTERVIEW: „So verrückt es klingen mag, ich habe immer für offene Politikformen plädiert“
■ PDS-Politiker Schneider bezeichnet seine Informationen an den ehemaligen Staatssicherheitsdienst der DDR als Abfallprodukte eigener politischer Überzeugungen und Arbeit
taz: Dirk Schneider, in einer persönlichen Erklärung haben Sie eingeräumt, über Jahre für die DDR, für Mitarbeiter des Ministerrates gearbeitet und dafür auch Geld bekommen zu haben. Der Vorwurf heißt aber Mitarbeit für die Stasi, genauer für den Auslandsspionagedienst Hauptverwaltung Aufklärung...
Dirk Schneider: Ob es Mitarbeiter der Staatssicherheit waren, das weiß ich nicht. Es hat mich auch nicht interessiert. Mein Interesse war, daß die DDR, deren innere Strukturen mich damals überhaupt nicht interessierten, erfuhr und sich vorstellen konnte, was die Grünen und die Alternative Liste eigentlich wollten. Die Fehleinschätzungen in der DDR waren offensichtlich.
Ist es nicht reichlich naiv, wenn man als Mitglied des innerdeutschen Ausschusses Kontakt zu DDR-Behörden aufnimmt, dafür Geld bekommt und anschließend erklärt, man wisse nicht, ob es die Staatssicherheit war?
Das mag sein, hat für mich aber keine Rolle gespielt.
Demnach hat es auch keine Verpflichtungserklärung gegenüber der Stasi gegeben?
Über die Formen und die Einzelheiten der Zusammenarbeit möchte ich nichts sagen, weil das auch das ist, was die Staatsanwaltschaft wissen will.
Weshalb sollte die DDR denn wissen, was sich intern bei den Grünen und der AL abspielt?
Im Grunde ist es kurios, daß ich im Umgang der beiden deutschen Staaten immer für eine Politik der Zweistaatlichkeit eingetreten bin, in dieser Frage aber eine gesamtdeutsche Realität praktiziert habe. Ich komme aus der DDR, und sie ist Teil meiner Geschichte gewesen. Auch wenn ich heute zu völlig anderen Beurteilungen komme als früher. Für mich ist es völlig absurd, daß zwischen dem einen und dem anderen deutschen Staat landesverräterische Beziehungen möglich sein sollen.
Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Grüne in Berlin, Renate Künast, hat sie einen „Top- Agenten“, einen „Einfluß-Agenten der DDR“ genannt. Es liegt nahe, daß über diesen Kontakt, also über Sie, der Staatssicherheitsdienst auch Einfluß auf die Deutschlandpolitik der Grünen nahm...
Ich verstehe, wenn Leute das denken. Das liegt auch daran, daß sie wissen, wie der Verfassungsschutz auf die Alternative Liste und die Grünen eingewirkt und es darauf angelegt hat, falsche Orientierungen zu initiieren. Mein Handeln aber haben solche Überlegungen nie bestimmt. Ich habe immer eine authentische Politik gemacht. Alles, was ich innerhalb der AL oder der Grünen vertreten habe, vertrete ich aus Überzeugung. Eine Fremdbestimmung gab es nicht.
Aber was unterscheidet den Informanten, der den Verfassungsschutz mit Interna der AL und Grünen versorgt, von dem, der DDR-Behörden Interna liefert?
Für den Verfassungsschutz zu arbeiten ist in der Bundesrepublik auch als patriotische Pflicht nicht diskriminiert. Umgekehrt ist aber alles, was mit der DDR zusammenhängt, diskriminiert. Ich habe in meiner Fraktion, als die Gründe für meinen Rücktritt von einigen zusammengetragen wurden, gemerkt, daß das Raster immer das gleiche ist: Die DDR war ein falsches System, war nicht legitim. Dieses Grundmuster führt dann folgerichtig dazu, alles was von der DDR auch in Richtung Informationsbeschaffung gemacht wurde, als verbrecherisch zu bezeichnen. Ich halte das für eine völlig falsche Auffassung. Ich finde es bedauerlich, daß die AL nun ihre eigene spannende Geschichte in eine hohle, fremdbestimmte umschreiben will.
Ihre Mandatsrückgabe ist also unfreiwillig?
Ich war sehr gespalten. Nach den Kriterien der AL, daß man nichts mit Geheimdiensten zu tun haben sollte, hätte ich das Mandat natürlich sofort niederlegen müssen und niedergelegt. Aber die eigentliche Auseinandersetzung läuft ja ganz anders. Sie ist geprägt von einer massiven gesellschaftlichen Mehrheit, die dabei ist, alles, was in der DDR war, zu liquidieren und zu diskriminieren. Und diese Auseinandersetzung wird nicht dadurch befördert, daß man wieder einen kleinen Schuldigen abserviert, wegpackt, ausspuckt und bestraft.
Als Bundestagsabgeordneter ist man aber kein kleines Licht. Außerdem hatten sie damals maßgeblichen Einfluß auf die Politik der Grünen und der AL.
Mein Einfluß und das, was ich den Kontaktmenschen in der DDR erzählt habe, sind völlig unterschiedliche Dinge. Was ich denen gesagt habe, waren Erläuterungen, ein Abfallprodukt meiner politischen Überzeugung und Arbeit. Um Geld ist es ja nicht gegangen, das war keine nennenswerte Größe.
Also so eine Art Zeilengeld?
Wenn man so will, kann man meine Arbeit so einordnen, als hätte ich für eine Schweizer Zeitung geschrieben. Ich habe nicht geheimdienstlich gearbeitet, nichts ausgeforscht. Alles, was wir besprochen haben, waren öffentliche Papiere und öffentlich geführte Debatten.
Bleibt der Widerspruch, den Verfassungsschutz angegriffen und einem Geheimdienst zugearbeitet zu haben, der der bessere und totalitärere war...
Wie gesagt, ich weiß nicht genau, für wen ich da gearbeitet habe. Aber was innerhalb des Sicherheitsapparates der DDR gelaufen ist, zum Beispiel die gesamte Bespitzelung nach innen, habe ich immer kritisiert.
Von den früheren Oppositionellen der DDR werden Sie sich dennoch vorhalten lassen müssen, Informationen über sie an die Stasi weitergegeben zu haben...
Den Vorwurf werden sie mir wohl machen. Ich finde das aber insofern schade, als es für mich immer selbstverständlich war, das eigene Tun von solchen Kontakten nicht abhängig zu machen. So verrückt es klingen mag: Ich habe immer für offene Politikformen plädiert, gerade auch aus der Erkenntnis heraus, daß geheimdienstliche Methoden nur belasten und sinnlos sind.
Nun war der Dialog mit den DDR-Vertretern aber nicht so offen...
Ja, und das hat mich auch am meisten belastet. Es war nicht das Unrechtsbewußtsein, das will ich hier ganz deutlich sagen. Ich habe das nicht gern gemacht, weil es dazu führte, daß ich mit niemandem darüber reden konnte. Aber was ich gesagt und wie ich versucht habe, meine Politik weiterzutreiben, das halte ich nicht für falsch. Interview: Wolfgang Gast
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