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INTERVIEW„Das ist ein Akt symbolischer Politik“

■ Wilfried Karl ist Mitarbeiter des Berghof-Instituts für Friedens- und Konfliktforschung

taz: Wie ist die deutsch-französische Initiative, ein gemeinsames Armeekorps einzurichten, zu bewerten?

Wilfried Karl: Man sollte das vorerst nicht überbewerten. Ich halte die geplante Ausweitung der deutsch-französischen Brigade zu diesem Armeekorps erst einmal für einen Akt symbolischer Politik. Was nicht heißt, daß man symbolische Politik in diesem Fall unterschätzen sollte. Die Bedeutung dieser Initiative liegt vor allem in folgendem: zum einen im Grad ihrer Konkretion. Die militärischen Vorstellungen, die da entwicelt worden sind, das Verhältnis der WEU zur EG und zur Allianz ist zwar schon länger in der Diskussion, aber in dieser Genauigkeit noch nie ausformuliert worden. Diese Punkte waren bislang auch innerhalb der Bundesregierung nicht durchsetzbar. Von Seiten des Bundesverteidigungsministeriums gab es noch im Frühjahr massive Kritik an solchen Plänen, wie sie vor allem vom Außenministerium forciert worden sind. Insofern ist das schon etwas Neues, daß es sich hierbei nicht nur um einen Brief von Dumas und Genscher handelt, sondern um einen offiziellen Regierungsvorschlag. Da haben sich die Außenpolitiker gegen die Verteidigungspolitiker durchgesetzt.

Zum zweiten ist die Initiative bedeutend, weil sie natürlich einen Gegenvorschlag zu der britisch-italienischen Initiative von vorletzter Woche darstellt. Der deutsch-französische Vorstoß in Sachen gemeinsamer Sicherheits- und Außenpolitik sowie eines gemeinsamen Korps zielt eindeutig auf die Stärkung der westeuropäischen Kooperation ab. Die britisch-italienische Initiative dagegen orientierte sich vor allem auf Betreiben Großbritanniens an eine Anbindung an die Nato.

Wie sind denn die Motive Frankreichs zu bewerten ?

Da spielen vorrangig deutschlandpolitische Erwägungen eine Rolle. Man will dieses größere Deutschland eingebunden wissen in das westliche Lager und gleichzeitig die eigene Vormachtposition im westeuropäischen Lager bewahren. Daneben spielen ganz konkrete Interessen auf Ebene der Rüstungsindustrie eine Rolle.

Welche Beweggründe sind denn auf deutscher Seite zu vermuten — außer vielleicht dem Wunsch, den Franzosen etwas die Angst vor dem aufgeblähten Nachbarn zu nehmen?

Ich betrachte das als einen Bestandteil der mehrgleisigen Außenpolitik, wie sie von der Bundesregierung gefahren wird: nämlich sich sowohl transatlantisch als auch westeuropäisch alle Türen offen zu halten. Nur wird Bonn da in immer größere Widersprüche geraten, je konkreter solche Initiativen ausgestaltet werden. Gleichzeitig kann das natürlich eine Option sein, innenpolitisch Einsätze der Bundeswehr „out of area“ zu legitimieren. Das ist ja eine klassische Konstante der deutschen Außen- und Sicherheitpolitik, alles, was innenpolitisch umstritten ist, durch internationale Anforderungen zu erklären und zu rechtfertigen.

Nun läßt sich eine solche bi- oder multilaterale Truppe nicht von heute auf morgen organisieren. Trotzdem: Welche Einsatz- und Interventionsmöglichkeiten sind denn für ein solches Korps denkbar?

Mit Spekulationen über Interventionen wäre ich erstmal vorsichtig. Natürlich ist das etwas Neues, wenn plötzlich eine Truppe von dieser Größenordnung vorgeschlagen wird. Man kann nicht einfach sagen, daß das jetzt eine Interventionstruppe sein wird. Da muß man sich noch genauer die geplante Struktur des Ganzen ansehen. Ich betone noch einmal: Das ist erst einmal ein Akt symbolischer Politik, mit dem Paris und Bonn eine Einigkeit demonstrieren wollen, die gerade in anderen zentralen Punkten einer gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik nicht herrscht.

Und ich glaube, daß diese Einigkeit in den anderen Punkten, die ja auch in diesem Vertragsentwurf genannt werden, so schnell nicht herzustellen sein wird. Was da in dem Entwurf von Kohl und Mitterrand aufgelistet ist, spiegelt ja die Streitpunkte der letzten Zeit wieder: das Verhältnis zur Sowjetunion, die Politik gegenüber den osteuropäischen Staaten, das Verhalten im Golfkrieg oder das Verhalten in der Jugoslawien-Krise. Das Gespräch führte Andrea Böhm

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