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INTERVIEW„Schnelle Lösungen gibt es nicht“

■ Asbest: Gerd Billen von den Verbraucherinitiativen rät zu politischem Druck

taz: Die Meldungen sind erschreckend: In der Ex-DDR sollen zwei Millionen Wohnungen asbestverseucht sein.

Gerd Billen: Etwas Derartiges hat es bislang noch nirgendwo auf der Welt gegeben. Zwar sind bereits mehrere Büro- und Verwaltungsgebäude und einzelne Wohnungen saniert worden, aber noch nicht Millionen von Wohnungen. Bei dem Umfang der anstehenden Sanierung kann es keine schnelle Lösung geben.

Müssen ganze Wohnsiedlungen abgerissen werden?

Das kann man zur Zeit noch nicht sagen. Zunächst muß genau untersucht werden, welche Quellen für die Asbestverseuchung verantwortlich sind. Erst danach kann entscheiden werden, ob es mit Hilfe einfacher Sanierungsmaßnahmen gelingt, die Asbestbelastung zu minimieren. Dabei ist entscheidend, ob der Asbest stark oder schwach gebunden ist, starke Verwitterungseinflüsse vorhanden sind oder sich die Belastungen über einen Zeitraum ansammelten.

Die Bevölkerung ist verunsichert. Wie muß eine schnelle Lösung aussehen?

Man kann Millionen von Menschen nicht kurzfristig in Zeltstädten unterbringen. Deshalb muß überlegt werden, für welchen Personenkreis sofort Abhilfe geschaffen werden kann, etwa für Familien mit kleinen Kindern. Zu klären ist außerdem, ob es kurzfristige Sanierungsmöglichkeiten gibt — Formen von Abdeckungen, der Einsatz von Allergiker-Staubsauger, die die Partikel absaugen. Wenn saniert werden soll, müssen alle Leute raus. Erst dann kann mit dem Abnehmen der asbesthaltigen Materialien begonnen werden. Dazu muß ein solches Gebäude mehrere Monate geräumt werden.

Wie gefährlich ist die Asbestbelastung?

Bei höherer Belastung kann es zu Bauch- oder Rippenfellkrebs kommen; die Zeitspanne zwischen Belastung und Ausbrechen der Krebsarten liegt dabei zwischen 20 und 30 Jahren.

Was können Sie den Betroffenen empfehlen?

Die Mieter sollten darauf drängen, daß Messungen der Raumluft unter verschiedenen Bedingungen durchgeführt werden. Dabei sollten sie sich an die zuständigen Gesundheitsämter wenden. Bei einer zu hohen Belastung kann man eine Mietminderung geltend machen. In solchen Fällen sind Eigentümer oder Wohnungsbaugesellschaften gesetzlich verpflichtet, Abbhilfe zu schaffen. Wenn dies viele tun, besteht auch die Chance, daß der politische Druck so stark wird, daß ein ökologisches Sanierungsprogramm aufgelegt und der Bau neuer Wohnungen beschleunigt wird. Eine Sanierung sollte unbedingt Fachleuten überlassen werden; Hobbyhandwerker sollten es tunlichst unterlassen, asbesthaltige Materialien selbst zu entfernen.

Wie es scheint, hat die DDR nicht nur den Palast der Republik, sondern das halbe Land in Asbest gegossen.

Es ist schon zynisch, daß gerade diejenigen, die westliche Unternehmen jahrelang wegen mangelndem Arbeitsschutz gegeißelt haben, ihre Bevölkerung durch die massive Asbestverwendung im Wohnungsbau einem überflüssigen Krebsrisiko ausgesetzt haben. Interview: Erwin Single

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