INTERVIEW: „Ich möchte nur die Maske lüften“
■ Der Historiker Dr. Johann Böhm (62) über Vergangenheitsbewältigung und NS-Verstrickungen amtierender Landsmannschaftsfunktionäre
William Totok: Herr Böhm, Sie sind der Verfasser des 1985 erschienenen Buches Das nationalsozialistische Deutschland und die deutsche Volksgruppe in Rumänien 1936 — 1944 . Sie haben sich immer wieder mit dem Thema der nationalsozialistischen Vergangenheit der Deutschen aus Südosteuropa auseinandergesetzt. So auch in Ihrem zweiten Buch Die Ungarndeutschen in der Waffen-SS. Innen- und Außenpolitik als Symptom des Verhältnisses zwischen deutscher Minderheit und ungarischer Regierung , aber auch in zahlreichen Aufsätzen. Warum beschäftigen Sie sich mit diesem Thema?
Johann Böhm: Ich habe mir die wissenschaftliche Aufarbeitung der Zeit von 1933 bis 45 des Südostdeutschtums zur Lebensaufgabe gemacht, um eine Antwort darauf zu geben, was sich in Südosteuropa in dieser Zeit abgespielt hat. Außerdem wollte ich mich mit dem Nationalsozialismus in diesem Raum auseinandersetzen, weil sich bestimmte Gremien und Institutionen wie der Siebenbürgisch-Sächsische Kulturrat in Gundelsheim, das Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen oder das Südostdeutsche Kulturwerk in München keine objektive Aufarbeitung gewährleisten. Solange wir diese Zeit nicht aufarbeiten, können wir keine sachliche Diskussion führen. Als Historiker möchte ich mit niemandem abrechnen, wie es mir von den erwähnten Gremien — Ableger der Landsmannschaften [LM]! — vorgeworfen wird. Ich möchte nur die Maske lüften, die sich diese ehemaligen Nazis in den LM-Führungen nach 1945 vor das entstellte Gesicht gehalten haben.
In der Bundesrepublik wurden nach dem Zweiten Weltkrieg die Vertriebenenverbände gegründet, im Rahmen derer auch die sogenannten Landsmannschaften der Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen — also der Rumäniendeutschen — tätig sind. Haben sich denn die LM nicht auch mit der Vergangenheit ihrer „Volksgruppe“ auseinandergesetzt?
Ich möchte zuerst auf die Vergangenheit der Landsmannschaftsbegründer hinweisen, die auf ihrer konstituierenden Sitzung 1949 beschlossen hatten, in ihren eigenen Reihen niemals ein politisches Säuberungsverfahren vorzunehmen und die NS-Verstrickungen der Siebenbürger Sachsen zu verschweigen. Diese Praktik wandten auch die LM-Gründer der Banater Schwaben und die anderer Deutscher aus Südosteuropa an. Ungeachtet der zum Teil ehemals prominenten NS-Amtsinhaber aus dem eigenen Kreis stimmte man dem vom seinerzeit faschistischen Schriftsteller Heinrich Zillich (1898 — 1988) eingebrachten Vorschlag zu, unter die Vergangenheit einen Strich zu ziehen und keine ehemalige NS-Führungspersönlichkeit von künftigen Landsmannschaftsämtern auszuschließen. Einer der vehementesten Verfechter dieses Beschlusses war und ist bis heute Dr. Wilhelm Bruckner, Sohn des ehemaligen NS-Volksgruppenführers aus Rumänien, Dr. Wolfram Bruckner, Bundesvorsitzender der Siebenbürgisch-Sächsischen LM von 1977 bis 1983. Begründet wurde Zillichs Vorschlag — in diesen Kreisen als „Kavaliersabkommen“ bezeichnet — mit der Tatsache, daß man wegen der durch den Eisernen Vorhang geteilten Sachsen und ihrer kleinen Zahl auf niemanden verzichten könne. Auf diese Weise wurde NS-Gedankengut in die neu gegründeten, angeblich demokratischen LM mit all den NS-belasteten Personen übernommen, die nun zu Verbandsämtern kamen. Die LM der Deutschen Südosteuropas ließen sich durch dieses „Kavaliersabkommen“ auf einen permanenten moralischen Betrug an der Bundesrepublik ein, indem sie sich aus dem schwierigen Prozeß der von den Deutschen vorgenommenen Vergangenheitsbewältigung ausklammerten, gleichzeitig aber als ständige Bittsteller bei den Regierungen in Bonn vorsprachen, um materielle, soziale, kulturelle und politische Hilfe entgegenzunehmen. Die LM machten sich zum Nutznießer der Deutschen, die sie aber insgeheim wegen ihrer Anstrengungen beider Vergangenheitsbewältigung belächelten. Durch das „Abkommen“ wurden die einfachen LM-Mitglieder getäuscht und hintergangen. Die siebenbürgisch-sächsische LM blockierte zudem die interne Verbandsdemokratie, was unter anderem auch darauf zurückzuführen ist, daß der heute amtierende LM-Vorsitzende eine der ehemals namhaftesten NS-Spitzenpersönlichkeiten ist, der Journalist Dankwart Reissenberger (der am 27.10.91 in der Frankfurter Paulskirche mit dem „Ehrenteller“ der Bundesrepublik ausgezeichnet wurde [Anm. d.Red.]).
Sind in den rumäniendeutschen Landsmannschaften heute auch noch andere ehemalige Nazis tätig?
Um ungestört arbeiten zu können, berief Reissenberger in den Vorstand der siebenbürgischen LM auch die ehemaligen Nazi-Amtswalter Martin Jung, NS-Jugendführer in Nordsiebenbürgen, heute Leiter des Bundesreferats für Aussiedlerbetreuung, und Willi Schiel, Funktionär für Sozialfragen in der NS-Zentrale der „Deutschen Volksgruppe in Rumänien“, heute Mitglied des Bundesvorstands der siebenbürgischen LM. Hinzu kommen Dr. Wolfgang Bonfert, bis 1989 Bundesvorsitzender der siebenbürgischen LM, heute Vorsitzender der Landsmannschaftsföderation der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Österreich, Kanada und den USA; er ist der Sohn des ehemaligen bekannten Nazi-Führers Dr. Alfred Bonfert, Chef der sogar in den Augen Hitlers zu radikalen nazistischen Deutschen Volkspartei in Rumänien — DVR. Auf sein Betreiben hin wurde Reissenberger LM-Vorsitzender. Volker Dürr ist stellvertretender Bundesvorsitzender der siebenbürgischen LM, Sohn des NS-Stabsführers Eduard Dürr. Dr. Wilhelm Bruckner, LM-Bundesvorsitzender von 1977 bis 1983, ist heute der vehementeste Vertreter des 1949 gefaßten Nazi-Tarnungsbeschlusses. Bei den Banater Schwaben sind es die hohen NS-Amtswalter Sepp J. Schmidt, Ex-LM- Vorsitzender, heute Ehrenvorsitzender, Kaspar Hügel und andere. Keiner dieser „Führer“ hat je mit dem Gedanken gespielt, die Vergangenheit aufzudecken. Der Banater Autor Hans Wolfram Hockl hat in seinen Büchern Offene Karten und Deutscher als die Deutschen anhand von Dokumenten bewiesen, daß bei diesen Leuten Cliquendenken, Haß, Dünkel, Klüngelei, Hochmut und zynische Selbstgerechtigkeit herrschten und wohl noch immer herrschen.
Wie reagierte die Landsmannschaft?
Als die führenden Persönlichkeiten der rumäniendeutschen LM, darunter der bereits erwähnte Alfred Bonfert, aber auch Fritz Cloos, Gau- und Landesjugendführer von 1934 bis 1935, ab 1943 Sonderbeauftragter für das „Bergland“ im südlichen Banat, Robert Gaßner, Gebietsführer von Nordsiebenbürgen, Hans Hartl, NS-Spitzenjournalist, Dr. Ernst Wagner, ranghöchster nordsiebenbürgischer Jugendführer, Martin Jung, HJ- Bannführer, Sepp Schmidt, Kaspar Hügel und Viktor Stürmer erfuhren, daß ich das Buch Das Nationalsozialistische Deutschland und die Deutsche Volksgruppe in Rumänien 1936 — 1944 veröffentlichen werde, rief mich Herr Richard, der siebenbürgische LM-Vorsitzende aus Nordrhein- Westfalen, an und sagte mir wörtlich: „Wer gibt Ihnen das Recht, über die Deutschen in Rumänien ein Buch herauszugeben, ohne daß wir es genehmigt haben?“ In ihren Publikationen betreiben diese Leute zudem eine Verleumdungskampagne gegen unbequeme Kritiker. Einigen mir bekannten Personen haben sie sogar mit beruflichen Konsequenzen in der Bundesrepublik gedroht, falls sie sich nicht den Anweisungen der LM-Führung unterwerfen würden. So sollte auch ich mit Hilfe der in München erscheinenden 'Siebenbürgischen Zeitung‘ mundtot gemacht werden. Fritz Cloos, einer der radikalsten NS-Spitzenfunktionäre aus Rumänien, der in Rumänien zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt wurde, konnte sich in die Bundesrepublik absetzen, wo er zusammen mit seinen ehemaligen Nazi-Kumpanen die „Arbeitsgemeinschaft für Südostdeutsche Volks- und Heimatforschung“ in Bad Tölz gründete. Unterstützt von K.M. Reinerth wurden alle Regale des Bundesarchivs Koblenz, das Politische Archiv des Bonner Auswärtigen Amtes, alle südostdeutschen Institute und Archive mit Broschüren, Büchern und Vervielfältigungen dieser Clique gefüllt. Ich möchte diese Pseudoforscher-AG als eine „Putzanstalt“ bezeichnen, weil die dort „gereinigten Stücke“ der Öffentlichkeit als blütenweiße Beweise immerwährender Untadeligkeit vorgeführt werden. Cloos und Reinerth brachten 1988 das Buch Zur Geschichte der Deutschen in Rumänien 1935 — 1945 heraus, das als ein verkapptes Plädoyer für die radikale Deutsche Volkspartei aus Rumänien und der rumänischen faschistischen „Eisernen Garde“ betrachtet werden kann.
1988 gründeten Sie den wissenschaftlichen „Arbeitskreis für Geschichte und Kultur der deutschen Siedlungsgebiete im Südosten Europas“, der die 'Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik‘ herausgibt. Ist dieser Arbeitskreis bloß als eine Gegenreaktion auf die subjektive Geschichtsbetrachtung landsmannschaftlicher Kreise zu verstehen?
Die Gründung dieses Kreises war dringend notwendig, weil sich kaum jemand mit diesen Fragen beschäftigt hat und natürlich auch weil die LM jede objektive Darstellung blockierten. Da unser Kreis von Mitgliedsbeiträgen finanziert wird, schickten wir dem Bonner Innenministerium einen umfangreichen Bericht über unsere so wichtige Arbeit mit der Bitte, uns finanziell zu unterstützen, so wie es der §96 des Bundesvertriebenengesetzes vorsieht. Da wir in der Aprilausgabe 1991 unserer Zeitschrift auf die Zusammensetzung der sächsischen und schwäbischen LM-Führungen hingewiesen hatten und das Innenministerium aufmerksam machten, wen es da finanziell unterstützt, wurde uns keine finanzielle Hilfe gewährt! Das ist eine Auffassung, die, so meine ich, nur in einer Diktatur denkbar ist.
Sie haben nach der Wende auch die Leute aus dem Demokratischen Forum der Deutschen aus Rumänien kennengelernt. Gibt es gemeinsame wissenschaftliche Projekte vor Ort, an denen sowohl rumänische Historiker als auch Mitglieder des Forums mitarbeiten?
Über die Führung des Demokratischen Forums der Deutschen aus Rumänien habe ich mir noch kein Urteil bilden können, vielleicht auch deshalb nicht, weil der Forumsvorsitzende, Herr Nägler, immer wieder in Begleitung von Dankwart Reissenberger zu sehen ist... Ob die Historiker und Schriftsteller des Forums gewillt sein werden, mit uns zusammenzuarbeiten, ist schwer zu sagen. Mit den rumänischen Kollegen klappt die Zusammenarbeit. Interview: William Totok
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