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INTERVIEW„Für uns zählt die humanitäre Frage“

■ Rolando Calderón, Führungsmitglied der chilenischen Sozialisten, fordert Asyl für Honecker

Die Bundesregierung in Bonn hat gestern erneut die Auslieferung Erich Honeckers gefordert. Justizminister Klaus Kinkel insistierte, der ehemalige DDR-Staatschef habe keinen „Racheakt“ zu erwarten, sondern einen fairen Prozeß. Auch Ex-SPD-Chef Hans-Jochen Vogel forderte die Vollstreckung des gegen Honecker vorliegenden Haftbefehls, meinte aber, für „Zwangsmittel“ gebe es „keine rechtlichen Grundlagen“.

Chiles Innenminister Krauss erklärte, Honecker dürfe vorerst „aus humanitären Gründen“ in der Moskauer Botschaft bleiben. Das chilenische Außenministerium hatte am Donnerstag abend erklärt, Honecker werde festgenommen und habe mit Strafverfolgung zu rechnen, wenn er ohne die notwendigen Papiere in Chile einreisen sollte. Wenn der Oberste Gerichtshof dem deutschen Auslieferungsersuchen zustimme, werde Honecker abgeschoben. Außenminister Vargas sagte, Honecker habe kein politisches Asyl beantragt. Ohnehin könne ihm keines gewährt werden, da er nur „wegen gewöhnlicher Straftaten“ gesucht werde.

Zuvor hatte sich das chilenische Parlament für eine „humanitäre Lösung“ für Honecker ausgesprochen. Die KP, die Sozialistische Partei (PS) und die linksliberale „Partei für die Demokratie“ (PPD) sind dafür, Honecker aus humanitären Gründen Asyl zu gewähren. Die Pinochet- freundliche „Nationale Erneuerung“ (RN) ebenso wie der Präsident der regierenden Christdemokraten, Andres Zaldivar, forderte eine menschliche Behandlung Honeckers.

Die taz sprach mit dem Vizevorsitzenden der PS, Senator Rolando Calderón, der zusammen mit der gesamten Führung seiner Partei in der Anfangszeit der Pinochet- Diktatur politisches Asyl in der DDR genoß.

taz: Was schlagen die Sozialisten Herrn Honecker vor?

Rolando Calderón: Wir wollen, daß er hierher kommt. Das politische Asyl ist in Chile eine sehr alte Institution. Es gibt sogar einige Parlamentarier auf der Rechten, die vorschlagen, Honecker aus humanitären Gründen Asyl zu gewähren. Wenn Honecker etwas Strafbares getan hat, so ist das eine andere Angelegenheit.

Und was halten Sie von dem Mord-Vorwurf gegen Honecker?

Das sind strafrechtliche Fragen. Für uns zählt die humanitäre Frage: Honeckers Tochter ist hier, ein Teil seiner Familie lebt hier im Land. Er soll eine gerechte Behandlung erhalten. Eine andere Sache sind wirklich seine strafrechtlichen Verantwortlichkeiten, worauf dann die deutsche Regierung auf den üblichen Wegen reagieren kann.

Damit bieten Sie Honecker aber nur eine kurze Perspektive.

Wenn die deutsche Regierung das Recht auf Auslieferung hat, wird sie es auch bekommen. Aber wir nehmen unser Asylrecht sehr ernst, das wiederhole ich. Viele von uns waren ja im Exil und haben dieses Recht in vielen Teilen der Welt kennengelernt — damals natürlich auch in den beiden Deutschlands.

Fühlen Sie nicht auch gerade deshalb eine besondere Sympathie für den Chef der ehemaligen DDR?

Nein, sprechen wir nicht von Sympathien. Das ist eine Tradition unseres Landes. Wir haben die moralische Verpflichtung, das Asylrecht zu schützen. Aber das gilt nicht nur für Herrn Honecker, sondern für jeden. Natürlich empfinden alle Exilierten Dankbarkeit gegenüber den Ländern, die sie einmal aufgenommen haben. Interview: Dorothea Hahn

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