INTERVIEW: „Vorzeitige Haftentlassung dient dem Rechtsfrieden“
■ Der Bundestagsabgeordnete Peter Conradi (SPD) unterstützt Kinkels Pläne, acht RAF-Gefangene vorzeitig aus der Haft zu entlassen
taz: Herr Conradi, der Bundesjustizminster Klaus Kinkel hat sowohl den Staat als auch die Gefangenen der Roten Armee Fraktion zur Versöhnung aufgerufen. Er hat vorgeschlagen, als Signal bis zu acht der RAF-Gefangenen noch in diesem Jahr vozeitig aus der Haft zu entlassen. Ihr Parteikollege Hans Gottfried Bernrath, auch Vorsitzender im Innenausschuß des Bundestages, hat sich aber entschieden gegen eine Sonderbehandlung für die Häftlinge ausgesprochen und als Vorraussetzung für eine Haftentlassung ein „Abschwören“ der Gefangenen verlangt.
Peter Conradi: Ich finde Kinkels Initiative richtig. Ich befürworte sie allerdings weniger unter dem Stichwort einer Versöhnung, sondern wegen des Rechtsstaatsprinzips. RAF- Gefangene sind so zu behandeln wie andere zu lebenslanger Haft Verurteilte. Sie haben den Anspruch darauf, daß ihre weitere Haftverbüßung nach 15 Jahren im Gefängnis überprüft wird — mit der Möglichkeit, daß sie vorzeitig entlassen werden. Das dient dem Rechtsfrieden und ist vernünftig.
Ich halte es allerdings auch für richtig, daß die Frage einer vorzeitigen Entlassung mit einer Prognose verbunden wird, ob sich die Häftlinge in Zukunft straffrei verhalten werden. Für die Gesellschaft ist immer ein Risiko damit verbunden, wenn jemand vorzeitig entlassen wird, der wegen Mordes zu einer lebenslänglichen Strafe verurteilt wurde. Daß RAF-Terroristen förmlich abschwören, ist meines Erachtens nicht notwendig. Wir lassen schließlich auch sonst keinen Mörder, der vorzeitig entlassen wird, förmlich abschwören. Aber das Gesamtverhalten in der Haft und die Gespräche, die vor einer Entlassung geführt werden, müssen Anlaß dazu geben, daß die Gefangenen zukünftig solche Taten nicht mehr begehen.
Kinkels Pläne erregen insbesondere im Süden der Bundesrepublik heftige Kritik. In Bayern haben sich CSU-Chef Waigel und Innenminister Stoiber gleichlautend dahingehend geäußert, daß dies ein falsches Signal sei. Sie befürchten, eine vorzeitige Haftentlassung könnte für die Aktiven der RAF Anlaß zu weiteren Anschläge sein.
Das Gegenteil ist richtig. Wenn sich die Regierung vernünftig und rechtsstaatlich verhält und kein Sonderstrafrecht für Terroristen einführt, dann wird die Argumentationsbasis der Terroristen durchlöchert, es gehe hier um Kriegsgefangene und den ganzen anderen Quatsch. Eine vorzeitige Entlassung dient dem Rechtsfrieden, sie wird den Sympathisantenguppen eher das Wasser abgraben als umgekehrt.
Herr Waigel hat weiter geklagt, bei einer solchen Entscheidung müsse auf das Rechtsempfinden der Opfer und der Bevölkerung Rücksicht genommen werden. Können Sie Ihren Wählern gegenüber eine Entscheidung auf Haftentlassung vertreten?
Das kann ich. Rechtsfragen sind keine Fragen des gesunden Volksempfindens. Da steht Herr Waigel in einer bösen deutschen Tradition, die mit dem Rechststaat nichts zu tun hat. Ich habe meinen Wählern gegenüber meine freie Abgeordnetenentscheidung zu vertreten. Wenn sie die nicht teilen, sollen sie mich bei der nächsten Wahl nicht mehr wählen.
Hinter Kinkels Plänen steht die Auffassung, daß es ohne den Komplex der RAF-Gefangenen eine aktive RAF nicht mehr geben würde. Teilen Sie diese Auffassung?
Für eine präzise Aussage habe ich zu wenig Informationen. Bisher hatte ich den Eindruck, daß ein Teil der Sympathisantenszene durch die Haftbedingungen der Gefangenen gestärkt wird. Wenn wir die Gefangenen so behandeln wie andere Gefangene auch, dann wird das die Szene eher schwächen. Interview: Wolfgang Gast
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