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INTERVIEWOhne Einigung gibt es keine Zukunft

■ Joschka Fischer über die Notwendigkeit einer Kooperation mit dem Bündnis 90 für eine Ost-West-Streitkultur

taz: Herr Fischer, Sie haben die Kooperation der Grünen mit dem Bündnis 90 und die organisatorische Einheit als herausragende Aufgabe der Partei bestimmt. Zum bislang eher kontroversen Beginn der Zusammenarbeit jedoch haben Sie sich deutlich zurückgehalten.

Joschka Fischer: Wir haben gewählte Gremien, unter anderem einen Bundesvorstand, der das zu realisieren hat.

Der Bundesvorstand, hinter dessen Verhandlungsmandat Sie sich da verstecken, hat aber alles andere als eine glückliche Hand in dieser Frage. Das letzte, womit er in die Schlagzeilen geriet, war ein Memorandum zum Verhältnis mit dem Bündnis, das dort einen katastrophalen Eindruck hinterlassen hat.

Also ich weiß nicht, wie sinnvoll es ist, hier Memoranden zu verfassen, das sind ja wohl eher die Mittel, die aus dem Auswärtigen Amt bekannt sind. Ich finde, die Dinge liegen relativ einfach: Man hat es mit zwei unterschiedlichen Organisationen mit unterschiedlichen historischen Traditionen zu tun, die, wenn sie sich sehr bemühen, eine gemeinsame ökologische, soziale, bürgerrechtsorientierte Reformpolitik entwickeln können. Wenn das nicht gelingt, wenn wir getrennt antreten, haben beide Organisationen keine Perspektive als Parlamentspartei im vereinten Deutschland. Wenn man das zur Grundlage nimmt und dann den Handlungsrahmen eingeengt sieht durch das geltende Parteiengesetz, dann müßte es doch unter politisch bewußten und sich in vielen Fragen sehr nahestehenden Leuten relativ einfach sein, zu einem fairen Interessenausgleich zu kommen.

Im Memorandum des Bundesvorstandes war von inhaltlicher Nähe und fairem Interessenausgleich wenig zu lesen. Da wurde das „dialogische Politikkonzept“ der Bürgerrechtler als naiv vorgeführt und in alter grüner Manier Strömungen ausgemacht, von denen dann nur eine als kooperationsfähig bewertet wurde...

Ich halte diese Passagen aus dem Papier für Quatsch. Man könnte sicher über die Grünen eine ähnliche Analyse machen und ohne weiteres zu noch sehr viel krasseren Bewertungen kommen. Wenn ich mir die Politik des Bündnisses in Bonn anschaue, dann kann ich sagen, das ist doch im wesentlichen Politik, mit der ich mich vorbehaltlos identifizieren kann.

Wenn aber der Bundesvorstand mit einem solchen Memorandum in die Debatte geht, ist das doch ein Indiz dafür, daß er der von Ihnen beschriebenen Aufgabe nicht gerecht wird.

Einspruch. Soweit ich weiß, handelt es sich bei dem Papier lediglich um das Fleißpäckchen eines Mitglieds des Bundesvorstandes...

Das Memorandum wurde von Ludger Volmer verfaßt und vom Bundesvorstand beschlossen. Wenn also Joschka Fischer das nicht sehr hilfreich findet und ihm die Kooperation mit dem Bündnis am Herzen liegt, muß er da doch intervenieren.

Also, ich hatte bisher keine Veranlassung, in dieser Frage zu intervenieren. Auf dem nächsten Länderrat wird der Bundesvorstand seinen Bericht geben, und dann wird das diskutiert werden müssen. Sicher wird es jetzt wichtig sein, die Kontakte mit dem Bündnis auf allen Ebenen zu intensivieren, denn ich sage nochmal: Wenn man ein Interesse am Fortbestand einer Bündnis90/Grünen-Fraktion in Bonn hat, dann muß dieser Einigungsprozeß stattfinden. Daß er nicht stattfinden darf zu den Bedingungen der Altparteien, das haben beide Seiten ausdrücklich erklärt.

Nicht zu den Bedingungen der Altparteien, was heißt das konkret?

In dem Zeitrahmen, der uns durch den Wahltermin vorgegeben ist, müßten beide Seiten klarstellen, was für sie unverzichtbar ist, und wie man diese unterschiedlichen Traditionen — ich sage erstmal im Streit — zusammenführt. Wir werden eine institutionalisierte, solidarische Ost-West-Streitkultur entwickeln müssen. Das heißt nicht Streit in alter grüner Manier, sondern Offenlegung der eigenen Unterschiede, Interessen und Erfahrungshorizonte. In solch einer Streitkultur kann man am besten zueinanderfinden. Darin liegt gegenwärtig ja auch das große Defizit im Umgang zwischen Ossis und Wessis in der Bundesrepublik.

Das Bündnis favorisiert eine neue politische Kraft aus Bündnis und Grünen.

Ich halte überhaupt nichts davon, die Grünen aufzulösen. Ich verstehe aber völlig, wenn auch das Bündnis nichts davon hält, sich aufzulösen. Ich weiß nicht, wie eng hier die Grenzen des Parteiengesetzes gesteckt sind. Womit ich überhaupt kein Problem hätte, wäre, einer Partei oder zumindest einem Wahlbündnis anzugehören, das Grüne/Bündnis 90 heißt, weil ich mich zu einem Gutteil auch in den Positionen der ostdeutschen Bürgerbewegung wiederfinde. Aber es wäre absurd, die Grünen aufzulösen und auch das Firmenschild herzugeben.

Das heißt also eine klare Absage an die Neukonstituierung?

Es klingt vielleicht altmodisch, aber ich mache seit zehn Jahren in dieser Partei Politik und ich hänge auch sehr stark an ihr. Das gilt alles für die andere Seite auch. Ich denke mir aber, daß es möglich ist, diese unterschiedlichen Interessen zur Deckung zu bringen. Denn die Alternative ist, daß wir gemeinsam, sehenden Auges eine sichere Wahlniederlage in Kauf nehmen würden. Auf Bundesebene wären dann die beiden Organisationen kaum weitere vier Jahre zusammenzuhalten. Das kann doch weder hier noch im Osten irgendjemand ernsthaft wollen.

Was müßte sich denn alles bei den Grünen im Zuge einer solchen Kooperation ändern?

Das Zusammenfinden wird natürlich ein ernsthaftes Bemühen voraussetzen, sich aufeinander einzulassen. Das wird für beide Seiten einen Veränderungsprozeß bedeuten, also auch innerhalb der Grünen. Es wäre doch ein sehr produktives Ergebnis, wenn damit tradierte Strömungen und Mehrheiten aufgebrochen würden. Das muß dann gar nicht immer in die Richtung gehen, die mir paßt. Aber umgekehrt hielte ich es auch für äußerst kontraproduktiv, wenn hinter gewissen Memoranden die Angst vor einem solchen innergrünen Veränderungsprozeß stehen würde.

Sie erwarten also inhaltliche Impulse von dieser Kooperation.

Selbstverständlich. Und ich erwarte mir von einem Zusammengehen auch innerparteiliche, demokratiebestimmende Impulse. Die Bürgerbewegung hat zu Recht ein sehr starkes Selbstbewußtsein aufgrund ihrer historischen Leistung. Sie bringt historische Erfahrungen ein, die unter den Bedingungen des erfolgreichen Kampfes gegen eine spätstalinistische Diktatur entwickelt wurden. Ich kann nur jeden davor warnen, sich darüber hochmütig hinwegzusetzen und etwa an den Mehrheitshammer zu glauben. Man würde dabei in denselben Fehler wie die Altparteien verfallen und ich glaube nicht, daß die Bündnisleute sich das gefallen ließen. Umgekehrt wäre es aber auch falsch, die historischen Leistungen der Grünen, in denen sich letztlich die Protestbewegungen seit 68 fokussiert haben, zu unterschätzen.

Wird nicht das konservative Potential bei den Grünen weitreichende Veränderungen verhindern?

Das sind die Fragen, die spannend werden. Hier werden die Bündnisleute gut beraten sein, hart zu verhandeln.

Herr Fischer, Sie haben die Wahlniederlage in Neumünster weggesteckt, die Parole der Konsolidierung der Grünen über die Länder ausgegeben und ihre Hoffnungen auf die Einrichtung des Länderrates gerichtet. Läßt sich denn so das bundespolitische Vakuum der Grünen kompensieren?

Mit dem Ergebnis von Neumünster müssen wir leben. Allerdings haben wir auf Länderebene in Hessen, Rheinland-Pfalz und Bremen innerhalb eines Jahres mit Hilfe der Wähler eine unglaubliche Konsolidierung erreicht. Ich sehe das große Problem auf uns zukommen, daß wir uns auf Landesebene konsolidieren und auf der Bundesebene in ein tiefes Loch fallen. Dieses Loch ließe sich dann überwinden, wenn es gelingt, zur Halbzeit dieser Legislaturperiode den Einigungsprozeß mit dem Bündnis 90 herbeizuführen oder zumindest so klar zu konturieren, daß dann auch in Bonn eine gemeinsame Politik beginnt. Interview: Matthias Geis

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