piwik no script img

INTERVIEW„Der Gesetzentwurf ist ganz einfach verlogen“

■ Klaus Eschen, stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer JuristInnen, zu dem von Justizminister Klaus Kinkel vorgelegten Gesetzentwurf zur Überprüfung von Anwälten aus der Ex-DDR

taz: Was halten Sie von dem Gesetzentwurf, der die Überprüfung von Rechtsanwälten und Notaren aus der Ex-DDR vorsieht?

Klaus Eschen: Die bundesdeutsche Rechtsordnung entdeckt ihr rechtsstaatliches Gewissen immer dann, wenn es um die ehemalige DDR geht. Es sind nach 1945 Tausende von Juristen in den Anwalts- und Notarberuf gegangen, die durch ihre Nazivergangenheit derartig kompromittiert waren, daß sie für den Richter- und Staatsanwaltsdienst nicht mehr tragbar waren. Derartige Kollegen sind auch heute noch tätig, z.B. stammt einer der über Jahrzehnte hinweg gebräuchlichen Standardkommentare zur Bundesrechtsanwaltsordnung von Walter Isele — einem führenden Nazi- Rechtsanwaltsfunktionär. Der war nach 1945 Rechtsanwaltspräsident der Kammer in Kassel. Die Anwaltschaft ist brauner geblieben als die Justiz, weil die Anwaltschaft praktisch das Auffangbecken für alle kompromittierten Nazis war, die anderswo nicht mehr landen konnten.

Heißt das, Sie sind generell gegen eine Überprüfung Ihrer Ostkollegen?

Wenn überprüft wird, dann gründlich: dann muß die gesamte Justiz in West und Ost auf ihre Vergangenheit seit 1933 überprüft werden. Der Gesetzentwurf ist ganz einfach verlogen. Natürlich bin ich dafür, daß die Anwaltschaft nicht durch Leute kompromittiert wird, die nicht würdig sind, Anwälte zu sein. Aber es ist ja so, daß ein Teil derjenigen, die im Osten tätig waren, gerade ihre Legitimation aus der mangelnden Entnazifizierung im Westen hergeleitet haben — das war ja eine Wechselbeziehung. Und deshalb kann es ja nicht angehen, daß jetzt diejenigen, die von der Augenzudrückerei im Westen profitiert haben — oder ihre Erben —, Richter sind über die, die die deutsche Geschichte im Osten geprägt haben.

Denken Sie denn, daß jetzt viele Ihrer Ostkollegen Berufsverbot bekommen?

Praktisch wird es kaum Auswirkungen geben, glaube ich. Die Begriffe „unwürdig“ oder „Verstoß gegen Grundsätze der Menschlichkeit“ sind viel zu unkonkret. Ich glaube, das Ganze geht aus wie das Horneburger Schießen. Es wird vielleicht zwei oder drei Anwälte treffen. Ich halte das, wie übrigens auch vieles andere, für eine in Gesetzesform gegossene Propagandaform zur Beruhigung der Bevölkerung.

Sie akzeptieren also den ehemaligen DDR-Generalstaatsanwalt Wendland als Kollegen?

Was heißt akzeptieren; ich hab' über viele Kollegen meine eigene Meinung. Aber ich denke, wenn ein Mandant der Meinung ist, daß der ehemalige DDR-Staatsanwalt seine Sache am besten vertritt, dann soll er ihn auch als Anwalt haben.

Das müßte man dann ja aber auch für die NS- Zeit so sehen.

Natürlich. Ich lebe mit den Anwälten aus der NS-Zeit. Die sind nun mal da.

Das heißt: Sie finden in Ordnung, was in Ihrem Berufsstand nach 1945 in der Bundesrepublik gelaufen ist?

Ja. Das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht gesagt, die Anwaltschaft spiegelt das weltanschauliche und politische Spektrum in der Bevölkerung wider. Und jeder soll den Anwalt finden, von dem er meint, daß er ihm vertrauen kann und daß er ihn am besten vertritt. Und sei es, daß ein SS-Mann sich durch einen Anwalt vertreten läßt, der Blutrichter in der NS-Zeit war. Interview: Annette Jensen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen