INTERVIEW: „Die Arbeitsämter müssen Druck machen“
■ Hans Büttner (47), arbeitsmarktpolitischer Sprecher der SPD, zur Misere im Ärztlichen Dienst der Arbeitsämter
taz: Die BfA (Bundesanstalt für Arbeit) spricht bezüglich der fehlerhaften Gutachten von „bedauerlichen Einzelfällen“. Will man hier etwas beschönigen?
Büttner: Die BfA geht inzwischen selbst davon aus, daß die Gutachten der Vertragsärzte, die sie beschäftigt, viermal so viele Fehler aufweisen wie die eigenen Gutachten. Da die BfA ungefähr 200.000 Fremdgutachten vergeben hat, ist davon auszugehen, daß einige Zehntausende von Gutachten in den letzten Jahren fehlerhaft waren.
Die BfA wehrt sich vehement gegen den Vorwurf, durch fehlerhafte Gutachten die Arbeitslosenstatistik bereinigen zu wollen...
Das ist von mir auch nie behauptet worden. Aber wenn man die Tatsache seit Jahren kennt, daß man mangelhafte Gutachter und Gutachten hat und nicht massiv dafür eintritt, daß dem abgeholfen wird, dann nimmt man so etwas billigend in Kauf. Der Vorwurf richtet sich an die Spitze der BfA. Sie hätte viel mehr Druck auf die Bundesregierung ausüben müssen, als diese zuletzt im Dezember eine bescheidene Erhöhung der Arztstellen um 55 Stellen noch einmal auf 26 Stellen reduziert hat. Zudem weiß die BfA sehr genau, daß es problematisch ist, wenn von den jährlich 360.000 Gutachten 70 Prozent ausschließlich von der Arbeitsvermittlung und nur 29 Prozent von den Betroffenen selbst veranlaßt werden. Da liegt die Vermutung nahe, daß aufgrund der Arbeitsüberlastung der Vermittler mit Fremdaufgaben wie Statistik oder Organisation von ABM die Zeit fehlt, sich um die Arbeitssuchenden zu kümmern. Über die Einschaltung von Gutachtern will man da wieder etwas Zeit gewinnen. Zudem sprechen die Zahlen für sich: 1980 wurden bei einer gleichen Zahl von Gutachten etwa 11.000 Arbeitssuchende als nicht mehr vermittelbar begutachtet, 1985 waren es etwa 15.000, 1990 knapp 29.000. Daraus kann man entweder schließen, die Arbeitsbedingungen in der Bundesrepublik hätten sich rapide verschlechtert. Oder aber hier ist in der Tat über den Weg der Begutachtung etwas getan worden, was sich auch auf die Arbeitslosenstatistik auswirkt. Wer nicht mehr vermittelbar ist, zählt nicht mehr in der Statistik.
Welche Lösungsvorschläge halten Sie für effektiv?
Ganz schnell müssen jetzt in einem Nachtragshaushalt zumindest die 107 Arztstellen, die selbst die BfA für unabdingbar hält, geschaffen werden. Dann muß die Weiterbildung der Arbeitsmediziner an der BfA verbessert werden. Langfristig muß überlegt werden, ob man die Ärztlichen Dienste der Sozialversicherungsträger nicht zusammenlegt. Zudem müssen wir die Praxis beenden, daß Arbeitssuchende, die sich nicht einer ärztlichen Untersuchung unterziehen wollen, aber voll dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, aus dieser Weigerung heraus mit Leistungsbeschränkungen sanktioniert werden können. Schließlich muß die Organisation der Arbeitsvermittlung geändert werden.
Haben Sie den Eindruck, daß die BfA das Problem als solches erkennt, oder überwiegt dort eher die Tendenz, das Problem herunterzuspielem?
Aufgrund der Äußerung der Vertreter der BfA im Arbeits- und Sozialausschuß habe ich den Eindruck, daß man dort einen Handlungsbedarf erkannt hat. Auf der anderen Seite wird in den offiziellen Stellungnahmen das Gegenteil praktiziert. Mir scheint, daß der BfA-Präsident sich mehr als politischer Ausputzer der Regierung versteht und demgemäß versucht, Probleme zu schönen, während die interne Verwaltung sehr wohl weiß, wo die Mängel liegen und was geändert werden muß. Es wird eines starken öffentlichen Drucks bedürfen, um hier die BfA wieder auf die richtige Bahn zu lenken. Interview: Bernd Siegler
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