INTERVIEW: „Es geht uns nicht um die Eroberung der Macht“
■ Interview mit Petrona Menetz, Führungsmitglied der Maya-Koordination Majawil Q'ij („Neuer Sonnenaufgang“)
taz: Ist Majawil Q'ij eine rein indianische Organisation?
Petrona Menetz: Sie besteht aus mehreren rein indianischen Organisationen. Es geht uns darum, unsere Kultur und Geschichte, die zerstört wurden, wiederzubeleben.
Hat ihr Entstehen mit der Kampagne gegen die offiziellen Fünfhundertjahrfeiern zu tun?
Sie entstand schon vorher als Produkt der Repression, der wir guatemaltekischen Indigenas unterworfen sind. Doch die 500-Jahr-Kampagne hat uns zusätzlich Impulse verschafft. Während von Begegnung zweier Welten und Entwicklung die Rede ist, stellt sich für die Indigenas und die Armen nämlich die Frage: Von welcher Entwicklung ist die Rede? Unsere Vorfahren lebten viel besser als wir. Die Invasoren begannen uns zu vernichten, raubten uns unser Land und unsere Rechte. Es begann die Geschichte unserer Ausbeutung und Unterdrückung. Wir waren es, die im April 1991 die Volksorganisationen, nicht nur die indianischen, zu einem gemeinsamen Treffen aufriefen. Daraus entstand die Kampagne gegen die Fünfhundertjahrfeier.
Versteht sich Majawil Q‘ij als Bewegung gegen die Ladinos [die mestizische Bevölkerung]?
Wir sind nicht gegen die Ladinos, denn sie sind unsere Brüder. Aber wir wollen die Dinge nicht durcheinanderbringen, denn die Mayas haben ihre eigene Kultur, und unsere Koordination hat ihre eigenen Ziele. Nicht nur wir Indigenas, auch die armen Ladinos müssen leiden, haben keine eigenen Häuser und kein Land. Deswegen kämpfen wir Seite an Seite. Manche sehen unsere Demonstrationen und glauben vielleicht, wir sind gegen sie. Aber ohne Invasion würde es heute auch keine Mestizen geben. Schließlich haben die Spanier die Frauen unserer Vorfahren vergewaltigt.
Es war von der Rückeroberung der Macht die Rede. Ist das ein politisches Ziel?
Es geht uns nicht darum, selbst zu regieren. Das Problem ist, daß die Verfassung und die Gesetze nicht eingehalten werden. Wir wollen, daß unsere Jungen nicht mehr zwangsrekrutiert werden, daß man uns nicht mehr zwingt, für die Militärs zu patrouillieren. Darum geht es derzeit. Wir Indigenas sind derzeit gar nicht in der Lage, die Macht zu übernehmen.
In Santiago de Atitlan wurde nach dem Massaker vom Dezember 1990 die Armeebasis aufgelöst. Jetzt organisieren sich die Einwohner selbst. Kann das ein Modell sein?
Natürlich kann Santiago ein Modell für andere Dörfer sein. Was dort durchgesetzt wurde, ist ein Produkt der Einheit. Santiago hat gezeigt, daß man mit friedlichem Kampf, mit Worten und nicht mit Waffen, etwas erreichen kann. Aber vor allem braucht man Einheit.
Vor zehn Jahren war ein Großteil der Indigenas im bewaffneten Kampf organisiert. Ist dieser Weg inzwischen überholt?
In Santiago wurde die Armee nicht mit Waffen, sondern mit Argumenten vertrieben. Mit einem Schlag verschwanden Gewalttaten und Repression.
Als die Spanier vor fünfhundert Jahren kamen, konnten sie die Rivalitäten zwischen den einzelnen Völkern ausnutzen und die Mayas in wenigen Jahren unterwerfen.
Erst jetzt gelingt es nach und nach, eine Einheit zu schmieden. Vor acht bis zehn Jahren begann die Annäherung durch die Volksorganisationen. Denn vorher kannten wir einander nicht.
Unterscheidet ihr zwischen den intellektuellen Indigenas und den armen?
Die Intellektuellen sind gegen den Kampf des Volkes. Sie haben nicht dasselbe gelitten wie wir, die wir von der Basis kommen, das Elend und Analphabetentum kennen. Ihnen gefällt unsere Kampagne nicht, weil es sich um einen gemeinsamen Kampf der — nicht nur indianischen — Armen handelt, aller, die diskriminiert, ausgebeutet und unterdrückt werden. Interview: Ralf Leonhard
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