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INTERVIEW„Glaubwürdigkeit der Gewerkschaft steht auf dem Spiel“

■ Die Bankbosse wollen den Gewerkschaften ihre Grenze aufzeigen/ Der HBV-Vorsitzende Lorenz Schwegler zum Bankenstreik

taz: Worauf führen Sie die Verschärfung des Konflikts zurück?

Lorenz Schwegler: Die Verschärfung dieser Tarifrunde ist das Produkt der Arbeitgeber. Wir haben zu unserem Erstaunen schon im vergangenen Herbst, bevor wir überhaupt Forderungen aufgestellt haben, von den Arbeitgebern, und zwar den höchsten Spitzen der Banken, gehört, daß in dieser Tarifrunde ganz andere Saiten aufgezogen werden müßten...

Machen Sie nicht selbst eine Prestigeangelegenheit daraus, unbedingt die Sechs vor dem Komma zu erreichen?

Wir müssen ein Ergebnis zustande bringen, das was mit der Situation der Branche zu tun hat. Das ist sicher auch eine Prestigefrage. Aber vor allem hat das was mit ordnungsgemäßer Interessenvertretung für die Beschäftigten zu tun. Sie arbeiten in Häusern, denen das Geld aus allen Knopflöchern kommt, die Höchstdividenden zur Ausschüttung bringen, die jetzt aber andererseits unverhältnismäßig niedrige Lohnerhöhungen durchsetzen wollen. Das paßt alles nicht zusammen. Vor allem die Vorstandsvorsitzenden des Bankgewerbes wollen offenbar Marken setzen, die dann für alle anderen Branchen gelten sollen. Und sie wollen möglicherweise der übrigen Wirtschaft auch mal zeigen, wie man mit Gewerkschaften insgesamt umgeht, wie man den Gewerkschaften ihre Grenze aufzeigt. Das bringt die Verschärfung hinein.

Ist das Argument der Bankunternehmer nicht plausibel, daß alles Geld, was im Westen an Gehältern ausgezahlt wird, nicht in den Aufbau des Ostens fließen kann?

Die Deutsche Bank hat vor kurzem für drei Milliarden eine Bank in England gekauft. Da haben die Lohnzahlungen sie wahrlich nicht daran gehindert, zu investieren. Außerdem werden Kredite ja nicht aus den Erträgen, sondern aus den Einlagen der Banken gegeben. Die Zinssätze im Osten sind ausgezeichnet, die Kreditmarge ist eher wieder im Aufwind begriffen. Die Banken verdienen und verdienen. Vor diesem Hintergrund gibt es keinerlei Veranlassung, bei den Löhnen und Gehältern zu sparen. Im übrigen fließen Lohnverzichte, die im Westen geleistet würden, ja nicht in den Osten. Das Investititionsproblem im Osten besteht nicht darin, daß die Unternehmen oder die Banken kein Geld hätten. Das Problem ist, daß die Investitionsvoraussetzungen nicht gegeben sind.

Kommt Ihnen der Streik jetzt gerade recht, um organisationspolitische Gewinne zu machen?

Es ist für eine Gewerkschaft natürlich immer besser, wenn sie lebt und in Aktion ist, wenn sie auch in der Lage ist, das Erfolgserlebnis zu vermitteln, welche Kraft Solidarität gibt. In dem Sinne kann ein Streik durchaus etwas zur Erneuerung des gewerkschaftlichen Bewußtseins, zur Kräftigung gewerkschaftlichen Denkens und Handelns beitragen. Und in dem Sinne hat es noch keine Streikbewegung gegeben, die nicht mit einer kräftigen Stärkung auch der gewerkschaftlichen Organisation verbunden gewesen wäre. Andererseits muß man sehen, daß Streiks immer auch riskant sind. Sie werden ja zunächst einmal durch Opfer der Streikenden möglich gemacht. Und die Glaubwürdigkeit der Gewerkschaft steht dann verschärft auf dem Spiel. Vor diesem Hintergrund müssen wir damit sehr verantwortlich umgehen und nicht vordergründig organisationspolitisch.

Die Bankangestellten sind ja nicht gerade streikgewohnt. Kann die HBV einen längeren Arbeitskampf durchhalten?

Wir können in diesem Jahr mehr tun als in den zurückliegenden Jahren. Die Bankangestellten empfinden sehr stark das Mißverhältnis zwischen dem, was sie in den letzten Jahren gearbeitet und geleistet haben, und dem, was die Arbeitgeber ihnen jetzt dafür zahlen wollen. Die Kampfbereitschaft ist größer, als ich sie in der ganzen Zeit meiner Tätigkeit erinnere. Unsere Planung reicht bisher noch nicht bis Ostern. Aber wenn die Aktionen dieser und der nächsten Woche die Arbeitgeber nicht zum Einlenken bringen, sind wir sehr wohl zu einer Verlängerung und Ausweitung der Aktionen in der Lage. Das Interview führte Martin Kempe

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