piwik no script img

INTERVIEW„Nur 0,4 Prozent der Täter werden gekündigt“

■ Sibylle Plogstedt ist Mitautorin einer Studie über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und mögliche Gegenwehr

taz: Welches Ausmaß hat die sexuelle Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz nach den Ergebnissen Ihrer Studie vom letzten Jahr?

Sibylle Plogstedt: Über 90 Prozent aller Frauen sagten aus, sexuelle Belästigung schon einmal erlebt zu haben, 72 Prozent sogar mehrfach. Bei der Untersuchung haben wir über 1.000 Fragebögen ausgewertet, die wir mit Unterstützung der Gewerkschaften branchenübergreifend verteilt hatten. Es wurden Frauen aus dem Metall- und Chemiebereich, aus der Polizei, in den Schulen, im öffentlichen Dienst befragt.

Gibt es Unterschiede zwischen den Bereichen, wo Frauen in der Überzahl sind, beispielsweise in den Schulen, und denen, wo sie unterrepräsentiert sind?

Ja. Da, wo Frauen in der Überzahl sind, gibt es sexuelle Belästigungen relativ selten, während es in Bereichen, die sich maskulin gebärden — an allererster Stelle in der Polizei, es folgt das Baugewerbe —, am häufigsten passiert. In männerdominierten Berufen kommen die Grapschereien am häufigsten vor, in intellektuellen Berufen die verbalen Belästigungen. Die Belästigungen nehmen ab, wenn die Betriebe von den Geschlechtern her gut durchgemischt sind. In sehr großen Betrieben allerdings sind es mehr, weil die Belästiger sich in der Anonymität verstecken können. Und auch in ganz kleinen Betrieben, denn wenn dort ein Belästiger ist, dann begrapscht er oft alle Frauen.

Was sind denn die häufigsten Formen von sexueller Belästigung?

Natürlich sind die schwächsten Formen die häufigsten. Also das Anstarren, Hinterherpfeifen, Sprüche klopfen. Es folgen die Berührungen und Grapschereien, das Aushängen von pornographischen Bildern, schließlich Nötigung und Vergewaltigung am Arbeitsplatz. Das ist auch nicht so selten, wie gemeinhin angenommen wird. Drei Prozent unserer Befragten sind davon betroffen.

Welche Konsequenzen hatten diese Fälle?

In mindestens 53 Prozent aller Fälle haben die Frauen die Nachteile. Nicht wenige Frauen sagen nichts oder meiden den Täter und kündigen schließlich von sich aus. Belästiger werden ganz selten gerügt, und ganz selten, in 0,4 Prozent aller Fälle, werden sie gekündigt.

Wenn eine Frau angibt, sexuell genötigt worden zu sein, gibt es die Möglichkeit der Verdachtskündigung. Das ist aber, auch in den Gewerkschaften, umstritten, viele lehnen das ab.

Bei Diebstahl oder einer Schlägerei im Betrieb wird das ja praktiziert. Da greift der Arbeitgeber meist sehr schnell durch und zitiert den Betroffenen, der sich beschwert, als Zeugen. Bei Belästigungen geschieht das überhaupt nicht. Da werden sogar Beschwerdeschreiben von Frauen weitergereicht an den Belästiger, obwohl sie vertraulich bei der Betriebsleitung eingegangen sind. Die rechtlichen Möglichkeiten, einen Belästiger fristlos zu kündigen, gibt es durchaus.

Im Hinblick auf sexuelle Beleidigungen gibt es inzwischen den Vorschlag aus den Reihen von Gewerkschaftsfrauen, daß auch der Arbeitgeber aus Fürsorgepflicht gegenüber seinen Beschäftigten vor Gericht ziehen sollte.

Im Prinzip müßte er zum Arbeitsgericht gehen.

Und was sollte der Arbeitgeber bei Fällen von sexueller Nötigung oder Vergewaltigung tun?

Anzeige erstatten, das sollte aber auch die Frau tun. Ein Arbeitgeber und auch ein Betriebsrat hat in diesem Fall kein Schweigerecht, auch wenn sie sich öfters darauf hinausreden.

Und bei weniger gravierenden Belästigungen?

Da gibt es einen Ermessensspielraum. Auch eine Verwarnung oder Abmahnung kann hier hilfreich sein. Es wäre nicht sinnvoll, in einem Rachefeldzug alle Belästiger entlassen zu wollen, sondern man sollte darauf abzielen, die Belästigungen zu stoppen und eine Entschuldigung bei der betroffenen Frau zu erreichen.

Weil der Belästiger sonst bei der nächsten Arbeitsstelle wieder von vorn beginnt?

Genau. Therapien sind oft sinnvoller, dort, wo es soziale Dienste gibt. Also Unterstützungen, daß der Mann das nicht mehr braucht.

Sind Dienstvereinbarungen mit einem abgestuften Katalog von Disziplinarmaßnahmen sinnvoll?

Sicher. Aber das gibt es meines Wissens bisher nur in Entwürfen. Es gibt nur Dienstanweisungen, zum Beispiel im öffentlichen Dienst von Stuttgart oder München, die die Abwehr von sexueller Belästigung in den Gleichstellungsplänen verankert haben. Insgesamt müßte die Disziplinierung wegen sexueller Belästigung sowohl in die Gleichstellungsgesetze als auch in die Arbeitsschutzgesetzgebung einbezogen werden, damit man nicht erst alle möglichen Urteile abwarten muß. Zur Zeit scheint es aber sehr viel mehr Prozesse zu geben als früher, Frauen wagen häufiger als früher den institutionellen Konflikt, auch wenn er wegen der unklaren Rechtslage immer noch ein unbekanntes Risiko beinhaltet. Es liegt auch nur am Richter, ob er verlangt, daß eine Frau selbst als Zeugin auftreten muß oder ob eine schriftliche Aussage von ihr ausreicht.

Gibt es woanders bessere Regelungen?

In Frankreich ist solch ein Gesetz vorhanden, in den USA, Kanada, Israel, Australien. In den USA müssen Arbeitgeber hohe Entschädigungszahlungen vornehmen bei Diskriminierungen oder sexuellen Belästigungen. Das bedeutet, daß die Belästiger nicht mehr von den Betrieben gehalten werden, weil sie zu teuer sind. Das ist auch die Zielrichtung von mir und anderen Frauen. Es kann nicht um einen Kampf zwischen der Frau und dem Belästiger gehen. Statt dessen müssen die Arbeitgeber selber in die Pflicht genommen werden, den Schutz der weiblichen Beschäftigten zu sichern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen