INTERVIEW: Lübecker Cannabisrichter unter Polizeischutz gestellt
■ Der Richter am Lübecker Landgericht, Wolfgang Neskovic (43), zu den Reaktionen auf seinen Cannabisbeschluß
taz: Ihr Beschluß, das Cannabisverbot verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Rechtsstaatsgebot, hat dazu geführt, daß Sie unter Polizeischutz gestellt wurden. Was ist vorgefallen?
Wolfgang Neskovic: Unmittelbar nach Veröffentlichung des Beschlusses Ende Februar sind beim Justizministerium Drohanrufe eingegangen, die ernst zu nehmen waren. Daraufhin wurden Sicherheitsmaßnahmen im Gericht angeordnet und meine Familie und ich unter Polizeischutz gestellt. Insbesondere meine 12jährige Tochter hat darunter sehr gelitten. Ich weiß nicht, ob sich Politiker wie Herr Stoiber die Auswirkungen klarmachen, wenn sie in unverantwortungsvoller Weise Entscheidungen, die in richterlicher Unabhängigkeit getroffen werden, mit diffamierenden Kampagnen überziehen.
Was hatten die Drohanrufe für einen Tenor?
Ich persönlich habe nur einen einzigen Drohanruf erhalten, in dem man ankündigte, mich beseitigen zu wollen. Ich habe aber auch viele andere Anrufe und Briefe bekommen, in denen mir zu 90 Prozent der Rücken gestärkt und ich zum Durchhalten ermuntert wurde. Dabei herrschte in vielen Briefen das Erstaunen vor, daß ausgerechnet ein Gericht die Widersprüche der Drogengesetzgebung aufzeigt. Auch hinaus haben viele Briefschreiber die Feststellungen der Kammer durch eigene Erfahrungen bestätigt. Die ablehnenden Briefe kennzeichnete ein geringes Argumentations-, aber ein sehr hohes Beschimpfungsniveau.
Was sagen Sie zu der Medienberichterstattung zu dem Beschluß Ihrer Kammer?
Offensichtlich haben wir damit in ein Wespennest gestochen. Das Niveau der Reaktionen war sehr unterschiedlich. Insbesondere die Ausführungen des 'Spiegel‘ haben mich sehr betroffen gemacht, der Hand in Hand mit konservativen Kampfblättern und Politikern den Versuch unternommen hat, den Inhalt unserer Entscheidung mit meiner Mitgliedschaft in der SPD zu vermengen. Da hat sogar die vielgeschmähte 'Bild‘-Zeitung ein höheres Nivau journalistischer Sachlichkeit und Fairneß an den Tag gelegt. Ich kann auch die Reaktion eines leitenden Stuttgarter Polizeibeamten nicht nachvollziehen, der in einer Diskussion gesagt hat, er kenne persönlich Haschischtote. Ich frage mich, wie der Beamte zu dieser Behauptung kommt, denn dies wäre eine medizinische Weltsensation.
Wie erklären Sie sich diese unsachlichen Äußerungen und die geballte Aggression?
Ich will nicht behaupten, daß die Lobby der Alkoholfreunde aufgrund unseres Beschlusses Angst vor einem strafbewehrten Alkoholverbot hat. Auffällig ist jedoch, daß aus diesem Lager die härtesten Attacken gefahren werden. Die Tatsache, daß es nur eines Federstrichs des Gesetzgebers bedarf, um aus dem Münchner Oktoberfest eine Veranstaltung von Kriminellen zu machen, weckt offensichtlich tiefsitzende Ängste.
Sind Sie nach diesen Attacken noch bereit, an öffentlichen Diskussionen teilzunehmen?
Ja. Ich bin der festen Überzeugung, daß die Drogenpolitik in diesem Lande anders laufen würde, wenn es gelänge, die zutreffenden Informationen publik zu machen. Die gegenwärtige Drogengesetzgebung läßt sich nur deshalb praktizieren, weil in der Bevölkerung ein entsprechendes Informationsdefizit herrscht. Sämtliche Veranstaltungen, bei denen ich Gelegenheit hatte, die medizinischen Tatsachen darzulegen, haben gezeigt, daß danach eine überwältigende Mehrheit die Meinung der Kammer geteilt hat und dafür eintrat.
Wie stehen Ihre Kollegen, die Richter, Staats- und Rechtsanwälte, zu dem Beschluß?
Der Zuspruch der KollegInnen ist erheblich. Die Neue Richtervereinigung, die zweitgrößte Vereinigung von RichterInnen und StaatsanwältInnen, hat sich am vorletzten Wochenende in Mainz auf ihrer Bundesversammlung geschlossen hinter den Beschluß gestellt und ihn als „couragiert, überfällig und wirklichkeitsnah“ bezeichnet. Aber auch am Lübecker Gericht und auf einer Fortbildungsveranstaltung in Trier hat sich eine Vielzahl von KollegInnen positiv geäußert. Ich habe konkrete Anhaltspunkte dafür, daß zukünftig auch andere Gerichte ähnlich wie wir entscheiden werden. Viele KollegInnen fühlen sich im Drogenstrafrecht von der Politik mißbraucht und im Stich gelassen. Interview: Plutonia Plarre
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