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INTERVIEWZum reinen Opfer gestempelt

■ Interview mit dem Medienwissenschaftler Jo Groebel über die seriöse Presse und ihr Versagen beim Thema Ausländerfeindlichkeit

taz: In der gesamten Diskussion über Rassismus in Deutschland, über Hoyerswerda und Hünxe ist von der Rolle der Medien nicht viel die Rede gewesen. Allenfalls die Boulevardpresse wurde ab und an ein bißchen beschimpft wegen ihrer ausländerfeindlichen Berichterstattung. Sie stellen aber auch der sogenannten seriösen Presse kein gutes Zeugnis aus und sprechen von einem Mythos der Qualitätspresse. Worin besteht der?

Jo Groebel: Unter anderem darin, daß jeder glaubt, das Problem rassistischer Überfälle habe sich entspannt, weil nicht mehr so viel darüber in der Zeitung steht. Teil des Mythos aber ist schon der Glaube, Realität sei das, was in der Zeitung steht.

Natürlich wird niemand der Qualitätspresse unterstellen, sie habe durch hetzerische Schlagzeilen eine Emotionalisierung provoziert. Aber auch eine euphemistische Berichterstattung kann dazu beitragen, das Thema zu verfälschen und zu verzerren — und damit auch eine größere Intoleranz oder gar Gewaltbereitschaft fördern. Damit meine ich eine Tendenz zur Schönfärberei. In der Qualitätspresse neigt man oft dazu, vermeintliche Gemeinsamkeiten mit Ausländern oder Asylsuchenden überzubetonen. Da wird der fromme Wunsch nach trauter Gemeinsamkeit vorgetragen, und die tatsächlichen Konflikte und Auseinandersetzungen der Ausländer und Flüchtlinge — aber auch mit ihnen — fallen unter den Tisch.

Soll heißen, man wirft die unterschiedlichsten Menschen unterschiedlichster Herkunft in einen Topf und erklärt sie zum netten ideellen Gesamtausländer...

Noch eine andere, gefährliche Tendenz spielt eine Rolle. Sie besteht darin, den Ausländern und Flüchtlingen das Stigma des permanenten Opfers anzuheften, wodurch ein ganz fataler Mechanismus beim Betrachter und beim Leser greift: Wenn man eine Gruppe von Menschen in der Berichterstattung nur als Opfer definiert, entsteht bei den Lesern das Gefühl: Wer Opfer ist, ist auch irgendwo selbst schuld. Wenn man das nun vor dem Hintergrund der eben angesprochenen Schönfärberei sieht, also mit dem Bestreben, oberflächlich alles schön harmonisch wahrzunehmen, dann hat das natürlich Konsequenzen, wenn es zum ersten Mal zur Konfrontation mit der Realität kommt und man feststellt, daß das doch alles so harmonisch nicht funktioniert. Im Hinterkopf hat man dann bereits die Definition für die „out-group“ parat — nämlich die des Opfers.

Was Sie hier vorbringen, ist auch eine massive Kritik an der Berichterstattung, wie sie zum Beispiel die taz liefert. Dort tauchen Immigranten und Flüchtlinge hauptsächlich als Opfer auf — wie etwa in einer kürzlichen Schlagzeile: „Rumäne von Deutschen erschlagen“.

Genau genommen ist das die Umkehrung dessen, was der Boulevardpresse häufig vorgeworfen wird. Die hätte im umgekehrten Fall eine Schlagzeile daraus gemacht: „Rumäne ersticht Deutschen“. Ich befürchte, der emotionale Effekt auf den Leser kann durchaus ein ähnlicher sein. Ich selbst bin ja nicht nur Medienforscher, sondern habe auch eine therapeutische Ausbildung in der Psychologie gehabt. Dort galt immer das Prinzip: Die Ohnmachtsformel hilft den Betroffenen überhaupt nicht — auch nicht als immer wiederkehrende Formel, die sich ja irgendwann einmal zum Ritus steigern kann. Viel entscheidender ist, sie als eigenständig Handelnde auftreten zu lassen. Daß dem unsere Gesetzgebung nicht besonders förderlich ist, ist natürlich ein Problem. Aber gerade hier wäre eine andere Berichterstattung enorm wichtig: vor allen Dingen eine sachliche Berichterstattung, in die solche Schlagzeilen, wie Sie sie genannt haben, nicht hineingehören. Die zielt nämlich nicht auf den Kopf, sondern auf den Bauch.

Sie kritisieren die Tendenz zur Schönfärberei und zum Mitleidseffekt als eine Form der Ausgrenzung der Betroffenen. Beide Phänomene tauchen ja in den Kampagnen gegen Ausländerfeindlichkeit auf. Spielt bei vielen vermeintlich ausländerfreundlichen Deutschen eine Rolle, daß sie sich lieber mit den Opfern identifizieren, um sich nicht mit den Tätern — und möglichen Gemeinsamkeiten — auseinandersetzen zu müssen?

Man muß da differenzieren. Zunächst einmal ist das ein positives Signal an Immigranten und Flüchtlinge, wenn Gemeinsamkeiten betont werden. Das gilt zum Beispiel für die Medienkampagnen „Ich bin ein Ausländer“ und andere. Das signalisiert: Es gibt eine Solidarität und eine Loyalität gegenüber einem friedlichen Zusammenleben. Allerdings beschleicht mich bei solchen Aktionen wie auch bei der ähnlich gelagerten Berichterstattung der Qualitätspresse oft der Verdacht, daß sie vor allem einem Zweck dient: beim vermeintlich progressiven Leser das wohlige Gefühl zu erzeugen, das richtige Bewußtsein zu haben — so eine Art „overall 68er feeling“. Nur hat das leider überhaupt keine Konsequenzen. Das ist das rituelle Abfeiern der richtigen Einstellung im Kopf.

Mit den Immigranten und Flüchtlingen hat das kaum noch was zu tun, weil die meisten von uns ohnehin keine Ahnung oder Erfahrung mit diesen Menschen haben, nicht wissen, welche extrem unterschiedlichen kulturellen Hintergründe da aufeinanderprallen, die natürlich Konflikte mit sich bringen. Statt dessen pflegen wir unser Imgage des Ausländers und konfrontieren diese Leute mit Erwartungen, denen sie gar nicht entsprechen können und wollen. Der Ausländer, der per se zum Opfer stilisiert wird, „verdient“ unser Mitleid. Ähnlich wie bei einem Kind erwarten wir aber dann auch Dankbarkeit dafür, daß wir uns zugewendet haben. In dem Moment, wo er oder sie jedoch nicht dankbar ist oder plötzlich fordernd auftritt, werden wir sauer. Das ist also eine vordergründig gut gemeinte, aber faktisch sehr erdrückende Umarmung. Was nun unsere Distanzierung von den Tätern betrifft, so erscheint mir ein anderer Punkt wichtiger: Die Stigmatisierung der Täter geht mir manchmal zu schnell, deren Rechtsradikalismus ist oft nur eine nachgelieferte Begründung für einen Konflikt, der aufgrund anderer Ursachen entstand.

Sie haben kürzlich auf einer Tagung zum Thema Rassismus die sehr provokante These ausgestellt: Hünxe sei vielleicht erst durch die Berichterstattung über Hoyerswerda möglich geworden.

In letzter Konsequenz handelt es sich um einen Nachahmungseffekt. Aber das muß man etwas differenzierter betrachten. Angenommen, an einem Ort leben Leute mit einer rassistischen und auch latent gewalttätigen Einstellung, die aber noch eine gewisse Hemmschwelle haben, weil sie nicht die ersten sein wollen. Über das Fernsehen oder die Schlagzeilen der Zeitungen erfahren sie nun, daß anderswo ein Flüchtlingswohnheim angegriffen worden ist. Dann kann das einen Nachahmungseffekt auslösen. Ich erinnere mich noch an den 8.April 1991, als der Visumzwang für polnische Bürger aufgehoben wurde und sich in Frankfurt/Oder massenweise Presse mit der ganz konkreten Erwartung eingefunden hatte, daß ihnen jetzt rechtsradikale Ausschreitungen „geboten“ werden— noch einige Monate vor Hoyerswerda. Letztlich ist in Frankfurt/ Oder nicht viel passiert. Wenn ich richtig informiert bin, waren dort mehr Journalisten als Rechtsradikale. Da kann man so weit gehen und sagen: Das Problem ist von den Medien mitgemacht und hochgepuscht worden. Hier muß man die Qualitätspresse wiederum ausnehmen. Das richtet sich vor allem an die Adresse der elektronischen Medien.

Welche Motive unterstellen Sie der Qualitätspresse? Begreifen wir Journalisten nicht, was wir tun? Oder lassen wir uns funktionalisieren?

Die größte Gefahr ist einfach, daß Themen generell, und das Thema Ausländer im besonderen, weiterhin funktionalisiert werden, um die Richtigkeit der eigenen Weltanschauung zu untermauen. Aber man muß immer bereit sein, die eigene Position in Frage zu stellen. Gespräch: Andrea Böhm

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