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INTERVIEWSchwarz-Grün läuft nicht!

■ Joschka Fischer, grüner Minister in Hessen, zum Wahlausgang in Ba-Wü

taz: Nach den Wahlen in Baden- Württemberg ist heute wieder die Rede vom Projekt einer grün-schwarzen Koalition. Wie ist Ihre Haltung dazu?

Joschka Fischer: Ich wüßte nicht, wie das funktionieren soll.

Warum nicht?

Deswegen, weil es letztendlich eine Frage der programmatischen Übereinstimmung ist. Koalitionen sind ja nicht nur rechnerische Mehrheiten, sondern müssen auch ein Minimum an Handlungsmöglichkeiten haben. Eine solche Konstellation wäre nur praktikabel mit einer CDU, die mehrheitlich eine christsoziale Zentrumsposition vertritt, sie ginge nur mit den Modernisierern der CDU. Der ganze deutschnationale Flügel wäre faktisch ausgeschlossen, und das kann ich mir unter den Bedingungen eines massiven Angriffs von rechts genau auf diesen Bereich der CDU-Wählerschaft nicht vorstellen.

Das Problem liegt also eher bei der CDU als bei den Grünen?

Auch umgekehrt kann ich mir nicht vorstellen, daß die Grünen in wichtigen Fragen, wie etwa der Asylfrage, um nur eine der Fragen innerer Liberalität anzusprechen, hierzu bereit wären. Das wäre ohne eigene Existenzgefährdung nicht möglich. Schwarz-Grün ist also unter den gegenwärtigen Bedingungen eine sehr weit hergeholte Option.

Sie meinen, bei Späth wäre das anders gewesen?

Ich würde es nicht unbedingt am Spitzenmann festmachen, sondern ich glaube, auch das ist letztendlich eine Frage der programmatischen Fortentwicklung. Die baden-württembergischen Grünen haben ein glänzendes Ergebnis erzielt. Sie werden nur ein Problem haben — das der Daueropposition, weil Rot-Grün in absehbarer Zeit keine Perspektive in Baden-Württemberg hat. Sie müssen sich also Gedanken machen.

Wird sie die CDU in Richtung akzeptabler Positionen bewegen können?

Gedanken, wie man in Baden- Württemberg Mehrheiten für vernünftige Positionen bekommt. Ich halte es aber für falsch, sich die Gedanken anderer Parteien zu machen. Die baden-württembergischen Grünen haben es geschafft, wirklich zentrale Themen — ob ökologische Wirtschaftsentwicklung, ob Minderheitenschutz — zu solchen des Wahlkampfes zu machen. Die Zukunft Baden-Württembergs in Europa wird natürlich durch Rechtsradikalismus nicht gefördert. Da bietet sich ebenfalls eine große Chance für die Grünen. Es geht also eher darum, eine bestimmte inhaltliche Programmatik im Lande mehrheitsfähig zu machen, auch bei Wählern, die unmittelbar mit den Grünen nichts zu tun haben. Dann werden sich die machtpolitischen Konsequenzen von selbst einstellen.

Also gesellschaftliche Arbeit. Meinen Sie, Teufel ist festgelegt auf die deutschnationale Orientierung?

Die CDU erlebt gegenwärtig, was es heißt, diesen Flügel zu verlieren. Das geht direkt an die Mehrheitsfähigkeit dieser Volkspartei. Die CDU ist zwar immer noch stärkste Partei in Baden-Württemberg. Sollte sie aber weiter erodieren, so wird sich ein Haider- oder Le Pen-Effekt einstellen, also der Protest von rechts sich verstetigen. Vieles spricht für diesen Dauerverdruß...

Sie halten das Wahlergebnis für den Ausdruck einer langfristig wirksamen Tendenz?

Nicht für eine stetig wachsende, denn Gruppierungen dieser Art haben ihre Wachstumsgrenzen. Aber dies wird zur neuen deutschen und auch europäischen Normalität gehören, wir knüpfen eigentlich jetzt direkt an das Berliner Wahlergebnis vom Januar 1989 an, also an die Situation vor der Wende. Dieser Normalisierungseffekt wurde nur überdeckt von der deutschen Einheit. Das kann man ja auch in Österreich feststellen. Das Wahlergebnis von Baden-Württemberg ist auch praktisch identisch mit dem Ergebnis der französischen Regionalwahlen vor vierzehn Tagen. Ich glaube, daß diese Rechtsstimmen Ausdruck einer Modernisierungskrise beim „klassischen“ Kleinbürgertum und bei den traditionellen deutschstämmigen Unterschichten sind, vor allem bei den männlichen und jungen Wählern dieser Gruppe. Ihnen stehen die neuen Mittelschichten und die neue Unterklasse der politisch rechtlosen Einwanderer gegenüber. Ich glaube daher auch nicht, daß das Problem des rechten Randes durch eine Änderung des Artikel 16 gelöst werden kann. Das eigentliche Problem ist die Europäisierung unserer Gesellschaft, ist der Verlust an Orientierungspunkten und (Selbst-)Wertgefühlen. Natürlich muß man dabei als erstes die Unfähigkeit Kohls, die Einheit zu managen und den Lug und Betrug, mit dem er die Menschen überzog, anprangern.

Halten Sie die gestern abend bei SPD und CDU deutlich gewordene Linie: „Die Demokratie ist bedroht durch die Stimmen für die Rechten“ für richtig?

So schlimm das Ergebnis ist, man sollte es dennoch nicht überdramatisieren. Da hat etwas, was ein Stück weit in der Bevölkerung steckt, seinen politischen Ausdruck gefunden. Daß es das tut, ist eher gut als schlecht. Nicht in dem Sinne, daß ich dies billigte. Nein, jetzt wird man sich offensiv damit politisch auseinanderzusetzen haben. Dieser ganze Ersatzstreit um Asylbewerber, dieses Halbwegducken der SPD, das Hoffähigmachen der Rechtsradikalen bei der CDU, das alles muß jetzt überdacht werden.

In den nächsten Jahren werden sich die alten europäischen Nationalgesellschaften gegen die Europäische Union wehren, auch gegen die Europäisierung unserer Innengesellschaften, die faktisch in der Situation der 60er Jahre, als die Einwanderung begann, steckengeblieben ist. Entweder bekommen wir diese Europäisierung durch, oder es wird einen Rückfall in den Nationalstaat geben. Dann werden wir den Nationalismus mit allen rechtsradikalen Widerlichkeiten erleben, die der eben mit sich bringt. Jetzt muß man Position beziehen. Das gilt sowohl für die Volksparteien als auch für die Grünen.

Wie erklären Sie sich eigentlich die konstitutionelle Schwäche der SPD in der „Asylfrage“?

Sie versteht es nicht mehr, ihre Unterschichtenwähler anzusprechen. Die Studienratspartei, die zu viel nach der Boßkultur schielt. Es ist grotesk, wenn Herr Spöri das Wirtschaftsthema zu seinem erklärt und nicht die Fragen von Mieten, die der Wohnraumnot oder die der skandalösen Ungerechtigkeit bei der Verteilung der Kosten der Einheit thematisiert. Das alles sind doch die originär sozialdemokratischen Themen. Die Leute fühlen sich alleingelassen. Es ist doch verrückt: Überspitzt gesagt, wäre es für die Stadt Frankfurt oder das Land Hessen mittlerweile billiger, Wohnungssuchende das Jahr auf Gran Canaria unterzubringen als selber noch Wohnungsbau zu betreiben! Wir verfügen über ein Bodenrecht und über Bodenpreise, die grotesk sind — der Artikel 16 hingegen ist nicht grotesk!

Wie beurteilen Sie das Führungspersonal der Rechten?

Da haben wir noch Glück, daß es solche Gurken sind. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch in Deutschland ein Herr Le Pen oder ein Haider auftauchen. Das Programm und das Wählerpotential von 15 Prozent liegen auf der Straße. Fehlt nur noch der Führer. Deswegen warne ich davor, zu sehr auf die Senilität von Schönhuber zu hoffen oder auf die Beschränktheit dieser Herrschaften.

Was raten Sie den Grünen in Baden-Württemberg?

Ich rate ihnen, ihren jetzigen erfolgreichen Kurs fortzusetzen. Sie sollten sich auf eine kluge Opposition vorbereiten, die auf gesellschaftliche Mehrheiten zielt. Dann sollten sie sich in aller Ruhe und ohne Vorurteile langfristig eine Strategiedebatte erlauben, wie sie aus der Daueropposition herauszukommen gedenken. Interview: Christian Semler

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