INTERVIEW: „Da geht ein Traum in Erfüllung“
■ Der Bürgerrechtler und einstige „Wahlbeobachter“ Matthias Waschitschka über eigene Erwartung und formaljuristische Realität im Wahlfälschungsprozeß in Halle
Matthias Waschitschka, 27, formulierte zusammen mit neun anderen „Wahlbeobachtern“ ein paar Tage nach den Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 einen offenen Brief an die Abgeordneten von Halle, in dem die öffentlich bekanntgegebenen Wahlergebnisse vehement angezweifelt wurden. Bereits im November reichte er eine Klage wegen Wahlfälschung ein. Waschitschka, im Bürgerkomitee zur Auflösung der Stasi, sitzt heute für die Grüne Liga im Stadtparlament von Halle, dessen Vizepräsident er ist.
taz: Warum verfolgen Sie diesen Prozeß mit solcher Energie, da — wie schon in Dresden — die eigentlich Verantwortlichen aus der Parteileitung nicht auf der Anklagebank sitzen?
Waschitschka: Der Prozeß birgt Indizien dafür, daß diese Wahlfälschung eben nicht nur eine auf der Ebene der Stadt Halle ausgekungelte Angelegenheit gewesen ist, sondern in Abstimmung mit dem Bezirk Halle und letztlich mit dem Wunschergebnis für die gesamte DDR erfolgt sein muß. Die Aussagen der Zeugen machen das ja in schöner Hierarchie — also von Wahllokal bis zum obersten Wahlbüro der Stadt — deutlich. Die Aufschlüsselung der Weisungspyramide im kleinen weist doch auf ein Pendant im großen hin. Also: der SED-Stadtparteisekretär hatte wohl zur Fälschung angestiftet, die Zahlen aber hat er nicht selbst ausgetüftelt. Immerhin ist er durch die Zeugen jetzt belastet worden, so daß die Staatsanwaltschaft weitere Ermittlungen in Aussicht gestellt hat.
Ich gebe zu, daß wir vielleicht auch ein bißchen viel erwartet haben von diesem Prozeß, denn die Staatsanwaltschaft hat wohl mit Recht darauf verwiesen, daß formaljuristisch nur die Anklagepunkte — also Wahlfälschung in Halle — zur Verhandlung stehen und nicht etwa im ganzen Bezirk oder DDR-weit. Aber — immerhin wird hier das System deutlich.
Sie haben sowohl an der Prozeßführung des Richters wie auch der Staatsanwältin, die beide aus Westdeutschland kommen, öffentlich Kritik geübt. Sie sagten, sie würden zu zahm mit den Zeugen umgehen und sich von den Anwälten der Angeklagten das Heft aus der Hand nehmen lassen.
Das bezog sich vor allem auf das Kreuzverhör von Falkenstein [SED-Stadtparteichef, Anm. d. Red.], welches ausschließlich die Anwälte bestritten haben. Da habe ich mir schon die Frage stellte, warum die Staatsanwaltschaft da die Hände in den Schoß legt. Sie kannte ja die ihn belastenden Zeugenaussagen bereits im Vorfeld. Gewisse offensichtliche Unkenntnisse über die Strukturen hätte man sich auch sparen können. Aber mittlerweile sehe ich die Grenzen dieses Prozesses. Wir gehen da eben viel zu emotional ran als unmittelbar Betroffene.
Sie zogen Ihre Nebenklage zurück. Warum?
Als ich die Klage im November 1989 einreichte, saßen noch die alten Staatsanwälte auf ihren Posten und man konnte doch annehmen, daß die an diesem Verfahren kein sonderliches Interesse zeigten. Jetzt gehe ich davon aus, daß — auch durch den öffentlich Druck — ein ordentliches Verfahren stattfindet. Überdies hätte ich als Nebenkläger beweisen müssen, persönlichen Schaden durch die Wahlfälschung erlitten zu haben. Das wäre sehr kompliziert gewesen. Ich wollte kein Nebengefecht in diesem Prozeß.
Finden Sie das öffentliche Interesse wirklich so bewegend? Bislang ist der Prozeß in Halle nicht besonders schlagzeilenträchtig, und noch mußte der Saal — anders als in Dresden — nicht wegen Überfüllung geschlossen werden.
Das mag stimmen. Aber der Prozeß ist Thema im Magistrat und auch bei den Leuten, die eben damals, wie ich, davon betroffen waren. Schließlich haben wir dieses Interesse ja auch über zwei Jahre immer wieder am Leben gehalten, durch Erklärungen, Anmahnungen bei Gericht. Ich habe nicht den Eindruck, daß das ein 08/15- Thema ist, nicht in Halle, wo jeder die Figuren noch zu gut kennt. Und wenn ich der einzige wäre: Für mich geht da, wenn auch mit Abstrichen, ein Traum in Erfüllung. Interview: Nana Brink
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