piwik no script img

INTERVIEW„Der Weltsicherheitsrat ist dringend reformbedürftig“

■ Euro-Parlamentarier Dieter Schinzel (SPD), Vorsitzender der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, zur Legitimität der Sanktionen

taz: Herr Schinzel, in weiten Teilen der arabischen Welt wird das Embargo gegen Libyen gleichgesetzt mit den Sanktionen, die die UNO nach der Invasion Kuwaits gegen den Irak verhängt hat. Sie selbst waren damals mit Willy Brandt in Bagdad. Ist denn die Situation heute mit dem Herbst 1990 vergleichbar?

Dieter Schinzel: Nein. Damals war die arabische Welt gespalten — während die Arabische Liga zum Thema Libyen jetzt eine einheitlich Auffassung vorgetragen hat; sie hat klar gesagt, daß sie sich an die Sanktionen nicht halten wird.

Trotzdem wird eine Linie vom Irak zu Libyen gezogen. Warum?

Weil die Bevölkerung der arabischen Länder die Sanktionen als Maßnahme zur Demütigung der Araber begreift. Sie sind der festen Überzeugung, daß hier mit zweierlei Maß gemessen wird, weil alle Resolutionen, die in der Vergangenheit Israel betroffen haben, ohne Konsequenzen geblieben sind. Bei arabischen Staaten dagegen werde sogar mit militärischer Gewalt vorgegangen, um Resolutionen durchzusetzen.

Bei der Entschließung im Sicherheitsrat am 31. März hat sich Marokko der Stimme enthalten. Gestern hat Marokko im Namen der Arabischen Liga gefordert, die Sanktionen aufzuschieben. Wie sind die Beschlüsse zustandegekommen?

Die Beschlüsse sind auf massiven Druck der amerikanischen Regierung zustandegekommen. Es hat im Weltsicherheitsrat noch nie soviel Widerstand gegen einen Sanktionsbeschluß gegeben. Aber die Amerikaner haben, wo sie nur konnten, Druck ausgeübt und damit die Enthaltungen forciert. Sie haben rigoros Druck auf die Chinesen und die Marokkaner ausgeübt. Die Marokkaner haben das Thema Westsahara [den Unabhängigkeitskampf der Befreiungsbewegung Polisario, d. Red.] im Hinterkopf, und bei den Chinesen ist es die Frage des Zugangs zum amerikanischen Markt. Das zeigt, in welcher Gefahr sich der Weltsicherheitsrat befindet, sich zum verlängerten Arm Washingtons zu machen.

Ist Libyen, gemessen an internationalen Rechtsmaßstäben, nicht verpflichtet, mutmaßliche Attentäter auszuliefern?

Nein. Das Problem ist, daß es kein „Weltgericht“ gibt, das, etwa im Sinne eines Bundesverfassungsgerichts in Deutschland, die Rechtmäßigkeit der Resolutionen des Weltsicherheitsrates überprüfen kann. Insofern ist man solchen Entschließungen relativ hilflos ausgeliefert. Auch das zeigt, daß sich auf dieser Ebene etwas ändern muß. Es muß die Möglichkeit der rechtlichen Überprüfung solcher Beschlüsse gegeben sein. Und was den Weltsicherheitsrat betrifft, sind noch einige andere Reformen dringend notwendig. Es müssen im Weltsicherheitsrat Regionen vertreten sein, die Kontinente der Welt — mit einer entsprechend veränderten Satzung. Es kann nicht sein, daß sich dort die USA und Länder wie Cabo Verde oder Zimbabwe gegenübersitzen und die USA auf diesem Weg ihre Macht ausspielen.

Welche Wege gibt es aus der aktuellen Krise?

Die internationalen Forderungen an Libyen müssen auf das zurückgeschraubt werden, was legitim ist. Sicherlich muß den Verdächtigen des Lockerbie-Anschlags der Prozeß gemacht werden. Aber auch die Amerikaner und Briten müssen gezwungen sein, ihre Beweise auf den Tisch zu legen. Auch in unserem Rechtssystem würde niemand vorab verurteilt werden, ohne daß Beweise auf dem Tisch liegen. Ich schließe nicht aus, daß es die Beweise gibt, aber sie liegen nirgendwo vor.

Wo könnte ein solcher Prozeß geführt werden?

Er kann in Libyen aber genauso in Malta oder in irgendeinem anderen Staat geführt werden. Auf keinen Fall kann man aber die Libyer zwingen, die Leute auszuliefern. Man kann ein Vereinbarung treffen, aber es gibt keine Rechtsgrundlage, sie zu zwingen. Es ist ein Mißbrauch der UN-Charta, sie zu diesem Zweck heranzuziehen. Kapitel 7 der Charta spricht von einer Bedrohung des Weltfriedens; davon kann aber überhaupt nicht die Rede sein. Man muß sich ja mal überlegen, worum es eigentlich geht. Geht es um die zwei Personen, oder geht es um Staatsterrorismus? Bei letzterem wäre es mit der Auslieferung der mutmaßlichen Attentäter ohnehin nicht getan. Es ist eine widersprüchliche Position, die die USA beziehen. Sie ist wahrscheinlich eher innenpolitisch motiviert als von der Absicht getragen, auf internationaler Ebene eine konsequente Verurteilung von Terroristen durchzusetzen. Interview: Thomas Dreger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen