INTERVIEW: „Das Bewußtsein ist viel weiter als die Politik“
■ Münchens grüne Bürgermeisterin gibt sich kampfeslustig
taz: Wie sähe eine Metropole aus, wenn Sie sie verkehrspolitisch gestalten könnten?
Csampai: Der motorisierte Individualverkehr wäre auf die notwendigen Fahrten zurückgedrängt — Wirtschaftsverkehr mit anderen Technologien, Rettungsverkehr etc. gäbe es naturlich weiterhin. Unbedingt vermieden werden müssen Durchgangs- und Parksuchverkehr. Der Parkraum wäre so teuer und knapp, daß sich der Nutzer dreimal überlegt, ob er ihn ansteuert. Durch Verkehrsberuhigung wird der Straßenverkehr so verlangsamt, daß das Auto keinerlei Zeitvorteil mehr bietet. Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz müßte so verändert werden, daß nur noch Straßenreparaturen bezahlt würden, der Rest in den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) investiert würde. Dann würden wir nicht mehr von der Bundesbahn stranguliert: Vor allem die Betriebskosten belasten die Städte: in München zahlen wir 380 Millionen Mark Defizit pro Jahr — mit steigender Tendenz. Das führt die Kommunen in die Pleite.
Täglich pendeln etwa 500.000 Menschen nach München hinein. Müßte die Politik nicht darauf abzielen, daß Arbeits- und Wohnorte wieder näher beieinanderliegen?
Das ist bei großen Metropolen, auch wenn der Wunsch richtig ist, nicht zu schaffen. In München gibt es keine Flächen mehr für neuen Wohnraum. Die Mieten sind so teuer, daß eine normal verdienende Familie ins Umland verdrängt wird. Auf der anderen Seite brauchen wir diese Arbeitskräfte in der Stadt, um den Dienstleistungsbereich aufrechtzuerhalten. Diese Entwicklung ist nicht wünschenswert, aber wir müssen mit ihr erst einmal leben.
BMW hat ein Konzept für die Münchener Innenstadt vorgelegt: innerhalb der sogenannten „blauen Zone“ sollen tagsüber nur FahrerInnen mit Ausnahmegenehmigung mit Tempo 30 fahren dürfen.
BMW kämpft mit dem Rücken an der Wand um die Akzeptanz von Autos — auch wenn „blaue Zonen“ untaugliche Vorschläge sind. Das öffentliche Bewußtsein ist viel weiter, als Politik und Politiker vermuten: Ein Großteil der Bevölkerung weiß, daß der Verkehr das Umweltproblem Nummer eins ist. Bei Umfragen ist die Akzeptanz für rigide Verkehrsberuhigungsmaßnahmen sehr groß.
Woher kommt der Hauptwiderstand gegen Ihre Verkehrspolitik?
Der Widerstand kommt vor allem vom Einzelhandel. Als wir die Residenzstraße sperren wollten, hat sich eine Initiative formiert, die der Meinung war, wenn die Porschefahrer nicht dort parken könnten, müßten sie dichtmachen. Alle Hinweise auf andere Fußgängerzonen, wo sich die Sperrung für die Läden als sehr lukrativ erwiesen haben, nützten nichts. Wir haben die Straße dann dichtgemacht, die Konsumenten kommen nach wie vor und die Proteste sind verstummt. Man muß es eben einfach nur durchziehen — die Leute kapieren es dann schon.
Die Benzolwerte in München sind fünfmal so hoch wie die Grenzwerte. Warum wird die Stadt nicht einfach gesperrt?
Nach Paragraph 45 der Straßenverkehrsordnung ist eine Sperrung zwar theoretisch möglich, aber wir sind von der Genehmigung des Innenministeriums abhängig, daß die Maßnahme verhältnismäßig ist — und damit können wir nicht rechnen. Beim Bundesemissionsschutzgesetz zur Luftreinhaltung ist die Verordnung über die Grenzwerte vom Bundesrat noch nicht verabschiedet. Wenn die Verordnung in Kraft treten sollte, müßten sämtliche Großstädte ihre Straßen sperren — deshalb ist zu befürchten, daß diese Grenzwerte verwässert werden. Ich hätte aber auch ohne dieses rechtliche Instrumentarium den Mut, die Stadt zu sperren und mich dann vor Gericht mit den Klägern aus der Wirtschaft auseinanderzusetzen. Im Sommer bieten sich nach dem G-7-Treffen dafür gute Chancen, weil da die Stadt eh gesperrt wird. Und was für die G-7 geht, müßte auch für die Gesundheit unserer Kinder gehen.
Interview: Annette Jensen
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