INTERVIEW: „Ich mache es mir nicht so leicht“
■ Christina Schenk (Bündnis 90/Grüne) zum 218-Kompromiß
taz: In ihrem taz-Debattenbeitrag vom 14. Mai verweist Alice Schwarzer darauf, daß Sie den Kompromiß nicht unterschrieben haben, und wirft Ihnen vor, Sie würden durch Ihr Abstimmungsverhalten die Chance der Fristenregelung verpatzen.
Christina Schenk: Der Gruppenantrag ist zwar eine Fristenregelung, das heißt, die Frau muß nicht mehr ihre Gründe für den gewünschten Schwangerschaftsabbruch darlegen, und sie muß sich nicht mehr rechtfertigen, aber der Preis dafür ist hoch: Für die Beratung ist jetzt ein Ziel vorgegeben (Schutz des ungeborenen Lebens), und sie darf nur noch von anerkannten Beratungsstellen oder ÄrztInnen mit entsprechender Zulassung durchgeführt werden. Für Ostfrauen ist dieser Gruppenantrag eine Zumutung — die Strafandrohung und die Zwangsberatung waren für sie schon seit 20 Jahren passé! Deshalb habe ich dem Kompromiß bei der Einbringung in den Bundestag meine Zustimmung verweigert. Damit habe ich jedoch noch nichts über mein Abstimmungsverhalten gesagt.
Frau Schwarzer hat diesen wesentlichen Unterschied nicht verstanden, und so agiert sie mit völlig aus der Luft gegriffenen Unterstellungen. Andersherum wird so ein Schuh daraus: Die Tatsache, daß Wolfgang Ullmann vom Bündnis 90 diesen Kompromiß völlig unnötigerweise unterschrieb und Frau Schwarzers penetrante Aufforderungen, den Gruppenantrag sofort und ohne weitere Kritik zu unterstützen, schwächen meine Verhandlungsposition enorm. Was ich denn noch wolle, wird man fragen, wenn selbst gestandene Feministinnen und das Bündnis 90 den Gesetzentwurf so befürworten, wie er jetzt ist.
Welchen Spielraum sehen Sie denn noch für Verhandlungen?
Das Ganze kann sich noch sowohl zum besseren als auch zum schlechteren hin verändern. Die Verhandlungsführung der FDP hat — mit Blick nach rechts — in der vergangenen Woche einen Brief an die Abgeordneten der CDU/CSU geschrieben und diese auf die noch mögliche Veränderung des Gruppenantrages ausdrücklich hingewiesen. Die Sache ist also noch im Fluß. Der Abgeordnete Eylmann, ein eher liberaler Konservativer, hat seine Zustimmung zu diesem Gruppenantrag noch nicht gegeben, das heißt, ein Teil der Konservativen macht Druck und will nachverhandeln, verhält sich damit schlauer als die SPD. Es steht also zu befürchten, daß der ohnehin schon miserable Kompromiß noch weiter verschlechtert wird. Mein Ziel sehe ich unter den jetzigen Umständen darin, daß die Beratung nicht restriktiver gestaltet wird, als sie es im jetzt in Westdeutschland geltenden § 218 ist— wenn schon die bloße Informationspflicht über soziale Anspruchsberechtigungen nicht erreichbar ist.
Der Abschnitt zur Beratung drückt die Ambivalenz des Kompromisses sehr gut aus. Er beginnt mit verquasten Formulierungen, in denen abwechselnd vom Schutz des werdenden Lebens und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau die Rede ist, und endet mit der Anonymität der Beratung und daß sie nicht dokumentiert werden muß. Dennoch birgt dieser Kompromiß doch einen Fortschritt, denn letztendlich— egal wie die Beratung verläuft — liegt die Entscheidung ganz allein bei der Frau.
Ich habe nie gesagt, daß dieser Entwurf einer Fristenregelung für die Westfrauen nicht auch einen positiven Aspekt hat, aber ich meine, man soll nicht so tun, als sei die Zwangsberatung in der vorgesehehen Form eine Bagatelle! Es braucht nun wirklich nicht viel Phantasie, sich vorzustellen, wie sich die Zielvorgabe bei der Beratung auf die Anerkennung von Beratungsstellen und auf die Beratung selbst in Bayern oder Baden-Württemberg auswirken wird! Zudem gibt es im Kompromißentwurf eine Formulierung, die gegenüber Ostfrauen die absolute Infamie darstellt. Die Beratung soll nämlich die Schwangere in die Lage versetzen, eine „verantwortungsbewußte, eigene Gewissensentscheidung“ zu treffen. Als ob Ostfrauen das bis jetzt nicht gemacht hätten!
In der Unionsfraktion ist der interne Druck mittlerweile relativ groß. Möglichst viele der Abgeordneten sollen beim Mehrheitsentwurf der Union bleiben. Hat es da nicht eine gewisse Legitimität, es diesen Abgeordneten leichter zu machen, damit sie nicht einem Indikations-, sondern einem sehr eingeschränkten Fristenmodell zustimmen?
Aus der Sicht der FDP verstehe ich diese Strategie. Denn wenn sie kleine Schritte in die konservative Richtung macht, erreicht sie vielleicht zehn oder zwanzig Abgeordnete für ihren Entwurf. Wenn sie dieselbe Schrittweite in die progressive Richtung geht, gewinnt sie vielleicht nur fünf Stimmen. Dennoch meine ich, mit etwas mehr Mut und Konsequenz wäre für eine Fristenregelung lediglich mit einer reinen Informationspflicht (der etwa durch das Übergeben eienr Broschüre bei der Diagnose Schwangerschaft Genüge getan wäre) oder gar ohne diese eine Mehrheit zu erreichen gewesen. Der SPD werfe ich vor, daß sie die FDP, die ja derzeit auf sehr schwachen Füßen steht, nicht dazu gebracht hat und daß sie sich ganz offensichtlich bei den Verhandlungen über den Tisch hat ziehen lassen.
Wie die Abgeordneten von UFV/ Bündnis 90/Grüne überhaupt noch Einfluß auf den Gruppenantrag nehmen können, steht dabei allerdings in den Sternen.
Wie mit dem Gruppenantrag jetzt weiter verfahren wird, wird sich nach der gestrigen Sitzung des Sonderausschusses zeigen. Dann kann ich auch abschätzen, was ich noch tun kann. Wie ich abstimmen werde, entscheidet sich an der Qualität des dann vorliegenden Kompromisses. Ich werde jedenfalls so abstimmen, daß nach meinem Ermessen der geringstmögliche Schaden entsteht. Ich mache es mir nicht so einfach, wie mir das von Frau Schwarzer unterstellt wird. Ich sage nicht nur: Der Kompromiß ist grundsätzlich bei der Abstimmung abzulehnen, da er für Feministinnen völlig inakzeptabel ist. Ich finde es schon schlimm, wenn Frau Schwarzer mit einer Mischung aus Denk- und taktischen Fehlern wie auch noch sachlich falschen Darstellungen sowie Unterstellungen und persönlichen Angriffen in der politischen Arena agiert. Ihre Fähigkeiten liegen wohl eher auf der Ebene von Talk-Shows.
Von seiten der SPD/FDP wird immer mit dem Bundesverfassungsgericht gedroht. Wenn bis Ende 1992 keine einheitliche Regelung gefunden wird, heißt es, kommt es zur Verfassungsklage, und damit gilt bundesweit die derzeitige Indikationsregelung.
Das ist schlichtweg falsch. Es wird immer vergessen, daß im Einigungsvertrag zwar steht, daß es zu einer Neuregelung kommen sollte, aber es heißt dort gleichzeitig, daß im Fall des Nichtgelingens die unterschiedlichen Regelungen in Ost- und in Westdeutschland fortgelten.
Wir können uns doch auf unsere bayerischen Politiker verlassen! Eine Verfassungsklage läge sicher schon Anfang 1993 in Karlsruhe vor, und wenig später wäre dann per einstweiliger Verfügung die Indikationsregelung bundesweit durch.
Es wird mit Sicherheit eine Klage geben. Aber das heißt nicht zwangsläufig, daß das Bundesverfassungsgericht kurzerhand die DDR-Regelung für verfassungswidrig erklärt und umgehend die westdeutsche Indikationsregelung auch für Ostdeutschland gültig macht. Genausogut könnte das Bundesverfassungsgericht als Übergangsregelung — bis das Parlament ein neues Gesetz verabschiedet hat — die Fortgeltung des Einigungsvertrages bekräftigen. Ich denke, es ist ein großer Irrtum, zu glauben, die gesellschaftliche Entwicklung sei am Bundesverfassungsgericht vorbeigegangen. Zumindest halte ich es für wichtig, darauf hinzuweisen, daß die Drohung mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts rein spekulativ ist.
Interview: K. Flothmann
und T. Bruns
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen