INTERVIEW: „Ein klein wenig den Agent provocateur spielen“
■ Hans-Georg Haupt (62) war der erste Undercoveragent des BKA und fühlt sich von seinem Dienstherrn verraten
taz: Herr Haupt, Sie waren der erste Undercoveragent des BKA. Fünf Jahre, zwischen 1976 und 1981, haben Sie verdeckt gearbeitet. Im Zusammenhang mit Ihrer Arbeit sind Sie 1984 nach 20 Monaten Untersuchungshaft zu einer achtmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. Hat das BKA Sie — aus ihrer heutigen Sicht — geopfert?
Hans-Georg Haupt: Da haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Das BKA hat mich allein im Regen stehen lassen, von einer gesetzlichen Fürsorge gab es keine Spur. Verlogene Angriffe aus dem Milieu habe ich vorausgeahnt, aber immer geglaubt, daß mich mein Dienstherr unterstützen würde. Das war aber ein Irrglaube und eine totale Fehleinschätzung. Nach eineinhalb Jahren Prozeß bin ich dann zu 97 Prozent freigesprochen worden, obwohl das BKA jegliche Unterstützung versagte.
Wie haben Sie sich damals selber gesehen? Sie haben sich einmal als der James Bond der Bundesrepublik bezeichnet.
Nein, das haben die Journalisten aus mir gemacht. So weit würde ich auch nicht gehen. James Bond ist eine Filmfigur. Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus.
Ihre Arbeit hatte aber etwas Schillerndes: Eindringen in Verbrecherbanden, heute würde man dazu Organisierte Kriminalität sagen. Sind Sie heute noch davon überzeugt, daß verdeckte Ermittlungen ein sinnvolles Strafverfolgungsinstrument sind?
Ohne verdeckte Ermittler wird man gar nicht auskommen können. In eine organisierte Bande kann man nicht anders eindringen und sie bekämpfen. Dazu braucht man eine entsprechende Legende, sonst ist man immer außen und weiß nicht, was innen geschieht.
Sich ins Milieu begeben heißt, sich bestimmten Umgangsformen anzupassen: den großen Max spielen, dicke Autos, Leibwächter, Bordellbesuche und was noch dazu zählt.
Show und Klappern gehören zum Handwerk. Das Milieu muß von meiner Rolle überzeugt sein. Wie das im einzelnen geschieht, ist sehr variabel. Es muß entsprechend der Legende angepaßt sein. Nähere Details unterliegen der Geheimhaltung. Man kann die Taktiken nicht ausplaudern, es werden außerdem immer neue sein.
Es geht auch ohne Details. Die Frage heißt, kann ein Polizist vom vielen Geld und dem Milieu so fasziniert sein, daß er am Ende die Seiten wechselt und selber straffällig wird? In Bayern hat man gefordert, daß der Undercoveragent auch „milieubedingte Straftaten“ verüben darf.
Wenn ich das schon höre — das ist schon ziemlicher Quatsch. Wissen Sie, die Realität an der Front sieht anders aus, als man sich das so ausdenkt. Das sind nur Schreibtischgedanken.
Wie sieht sie denn aus?
Wo soll ich da anfangen? Das ist doch in erster Linie eine Charaktersache. Das liegt am einzelnen. Verdeckte Ermittlungen können Menschen machen, die entsprechend charakterstark sind. Ich war immer wieder froh, wenn ich aus der Legende herausschlüpfen und wieder der ganz normale Mensch sein konnte — und nicht mehr Klaus Faber und Gregor von Kronberg. Die Präsidentensuite im Hilton oder der Mercedes 500 SEL, das hat mich dann nicht mehr interessiert. Im Gegenteil, das hat mich am Ende sogar angeekelt. Ich mußte mich zweiteilen, schizophren sein — das ist gar nicht so einfach. Es ist eine nervenaufreibende Geschichte. Sie dürfen sich ja nicht ein einziges Mal verplappern und müssen die Rolle stets gut spielen. Außerdem: Was heißt schon milieubedingt. Ich habe zum Beispiel anläßlich der Entführungssache „Karansa“ von Mitgliedern der Entführungsbande Geld zum Freikauf zweier Rauschgiftkuriere in Südamerika aus taktischen Gründen angenommen, um weiter das Vertrauen zu gewinnen und tiefer in die Gruppe eindringen zu können. Die Gruppe vertraute mir und glaubte, ich sei der große Boß. Ich tat dies im Sinne der Verfolgung zur Aufdeckung hochwertiger Straftaten. Aus taktischen Gründen hätte dies verwirklicht werden müssen, die Entführungsbande wäre dadurch zu knacken gewesen.
Wegen meiner Verhaftung kam es dazu nicht. Die Täter konnten bis heute nicht erfaßt werden, weil die exekutiven Maßnahmen gegen meine Person schnell bekannt wurden und die Bande gewarnt war, das Gegenteil trat dann ein: Nicht die Verbrecher wurden gefaßt, sondern ich verurteilt, weil ich deren Geld angenommen hatte.
Die milieugerechten Straftaten sind inzwischen aus dem Gesetzgebungsverfahren herausgenommen. Aber wenn man meint, Ermittler in Verbrecherbanden einschleusen zu müssen, dann kann das doch unweigerlich dazu führen, daß der Beamte Straftaten begehen muß.
Das ist doch dummes Zeug. Das hängt davon ab, wie ich auftrete. So etwas wäre schlicht Dilettantismus. Wenn ich mich irgendwo einschleuse, dann muß ich auch entsprechend auftreten. Wenn es nicht so geht, wie ich das will, dann muß ich abbrechen und auf Wiedersehen sagen. er Einsatz eines verdeckten Ermittlers muß doch ein höherwertiges Ziel verfolgen als die Festnahme irgendwelcher kleinen Lichter. Die Gefängnisse sind doch voll von denen. Man muß versuchen, in die höhere Ebene hereinzukommen.
Ein anderer Vorwurf ist, daß verdeckte Ermittler geneigt sein können, Straftaten selbst zu inszenieren.
Derartige Inszenierungen sind gegen das Gesetz und würden sich spätestens im Gerichtsverfahren sehr schnell als große Seifenblase herausstellen. Sicher muß man ein klein wenig den Agent provocateur spielen. Aber nur bei Menschen, bei denen bekannt ist, daß sie ausschließlich von kriminellen Geschäften leben. Diese machen ihre Geschäfte, egal mit wem.
Angesichts der Erfahrungen, die Sie gemacht haben: Würden Sie irgend jemandem empfehlen, als verdeckter Ermittler zu arbeiten?
Nein, ich rate jedem von dieser Tätigkeit ab. Ich habe immer geglaubt, daß der Dienstherr, im meinem Fall das Bundeskriminalamt, voll und ganz hinter mir steht. Das war nicht so. Im Gegenteil, meine Vorgesetzten wurden kaltgestellt und mundtot gemacht. Und die Rechtsabteilung des BKA hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung. Wenn ich alles zusammenzähle, dann habe ich nicht nur 20 Monate meiner Freiheit geopfert, sondern auch meine Gesundheit, denn nach dieser ganzen Misere habe ich einen erneuten Herzinfarkt erlitten. Dazu kommt ein hoher finanzieller Verlust, Ehre und Karriere sind kaputt. Ich bin über meine 35jährige Staatsarbeit sehr verbittert, enttäuscht und frustiert. Diesen Weg möchte ich nicht noch einmal gehen. Interview: Wolfgang Gast
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