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INTERVIEWDie kapitalistische Lösung

■ Brasiliens ehemaliger Umweltsekretär José Lutzenberger gibt der Öko-Revolution nur eine Chance, wenn man daran verdienen kann

José Lutzenberger lief nach seinem Ausscheiden aus der brasilianischen Regierung zum Unternehmerverband „Conselho para o desenvolvimento sustentavel“ („Rat für nachhaltige Entwicklung“) über, den er jetzt in Sachen Umwelt berät. Die moderne Industriegesellschaft hält der deutschstämmige Umweltschützer für „entwicklungsfähig“. Von der zerstörerischen Rolle des Geldes beim Umweltschutz ist er nicht mehr voll überzeugt. Auf einem Treffen bei der UNO-Umweltkonferenz in Rio überraschte der 65jährige mit einem Vorschlag zur Wiederaufforstung von tropischen Edelhölzern im großen Stil.

taz: Herr Lutzenberger, was haben Sie als Umweltsekretär für die Umwelt Brasiliens getan?

Lutzenberger: Was habe ich für die Umwelt Brasiliens getan? Mein Gott, ich bin doch kein Allmächtiger. Das ist alles so kompliziert, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Ich habe Präsident Collor die Demarkierung des Yanomami-Reservats suggeriert. Ich habe den Bau der Straße BR 364 durch den Amazonas über Peru zum Pazifik verhindert. Und ich habe das Thema Umwelt in Brasilien populär gemacht. Heute kennt mich hier jeder Taxifahrer. Mein Nachfolger José Goldemberg ist für den Bau der BR 364. Er ist ein furchtbarer Opportunist und Karrierist. Wenn Amerikaner und Japaner direkten Zugang zu den Holzvorräten bekommen, können Sie den Amazonas vergessen.

Wie kam es zu Ihrer Entlassung in diesem Frühjahr?

Präsident Collor hat mir nicht Bescheid gesagt. Er hat seinen Sekretär Marcos Coimbra damit beauftragt, mich darum zu bitten, eine Rücktrittserklärung zu unterschreiben. Ich war darauf überhaupt nicht gefaßt. Ich wollte auch keine Erklärung unterschreiben, nur aus diplomatischen oder politischen Erwägungen. Ich bin doch kein Politiker. Ich habe mich dann rausschmeißen lassen. Bei der brasilianischen Umweltbehörde IBAMA war eine Verschwörung gegen mich im Gange. Ich wollte die bisherige Umweltgesetzgebung konsolidieren, das heißt sämtliche Verordnungen und Gesetze aus dem Bereich Umweltschutz einmal zusammenstellen und dann einzelne Vorhaben im Kongreß absegnen lassen. Alles sollte hinter den Kulissen geschehen, um die Lobbyisten fernzuhalten. Doch in meiner Abwesenheit wurde alles an die Presse weitergegeben, und damit war die Geschichte vorbei.

Aber Herr Lutzenberger, die Kritik, daß Sie während der zwei Jahre in der Regierung kaum etwas bewirkt haben, kann doch nicht völlig unberechtigt sein.

Gut, ich gebe gerne zu, daß ich während meiner Zeit als Umweltsekretär viele Fehler begangen habe. Ich habe mich dort einfach nicht wohlgefühlt, alle waren gegen mich. Ich hatte keine Vertrauensleute. Ich bin ja so froh, daß ich da weg bin. Es war die schlimmste Zeit meines Lebens, ich stand jeden Tag vor dem Zusammenbruch. Ich war übrigens nicht Umweltminister, sondern Umweltsekretär, direkt dem Präsidenten unterstellt. Ich hatte keine Exekutivgewalt, sondern war für die Ausarbeiten der groben Richtlinien zuständig. Meine einzige Befugnis war die Ernennung des IBAMA-Vorsitzenden, den ich innerhalb von zwei Jahren dreimal ausgewechselt habe.

Sind Geld und Umweltschutz wirklich zwei Elemente, die man nicht miteinander vermischen darf?

Ich bin gar nicht generell gegen das große Geld. Ich sehe gerade dafür eine große Chance. Wie können Sie es einem Geschäftsmann schmackhaft machen, heute einen Baum zu pflanzen, der erst in fünfzig Jahren abholzreif ist? Der Eukalyptus braucht nur sieben Jahre Zeit, den können Sie auch noch im Alter von 60 Jahren pflanzen. Bei den tropischen Edelhölzern gäbe es folgende Möglichkeit: Sie pflanzen einen Baum mit einem Wert von schätzungweise 5.000 Dollar an. Nach fünf Jahren sind zehn Prozent der Zeit verstrichen, sie verkaufen den Anteil an die Bank. Die Commodities könnten sogar auf dem internationalen Rohstoffmarkt verhandelt werden. Es handelt sich hierbei also um eine „Aufschreibung“, die sie im voraus kassieren, eine Art Vorfinanzierung. Das heißt, der Land- oder Forstwirt wird bereits für die Aufzucht des Baumes bezahlt, nicht erst für den gefällten Stamm. Ich habe schon mit Vertretern der Weltbank und der FAO (Food and Agriculture Organisation) gesprochen, sie waren von dem Vorschlag sehr angetan. Unter diesen Bedingungen könnte Brasilien Tropenholz exportieren. Die Kredite könnten über private Banken laufen, um Korruption zu vermeiden.

Sie sind also davon überzeugt, daß die von ihnen geforderte „ökologische Revolution“ innerhalb unseres kapitalistischen Systems möglich ist?

Der Kapitalismus ist entwicklungsfähig. Die moderne Industriegesellschaft ist eine Religion, die meisten Leute haben das bloß noch nicht eingesehen. Es gibt kein System, was so missionswütig, und zwar erfolgreich, ist wie die kapitalistische Industriegesellschaft. Der Eifer kommt von innen heraus.

Bis jetzt hat der Kapitalismus der Umwelt mehr geschadet als genutzt...

Der Kapitalismus kann sich trotz aller Schweinereien, die im Gange sind, auf die sogenannte nachhaltige Entwicklung umstellen. Sie müssen den Leuten nur klarmachen, daß sie daran verdienen können. Ich bin zum Beispiel vom brasilianischen Unternehmerverband „Conselho para desenvolvimento sustentavel“ als Umweltberater angeheuert worden. Schon 30 Firmen des Unternehmerverbands haben jeweils 100.000 Dollar in einen Fonds gespendet, mit dem Projekte für nachhaltige Entwicklung finanziert werden sollen, zum Beispiel Wiederaufforstung. Bei den Eukalyptusplantagen müssen heute sowieso 30 Prozent Naturschutzgebiet sein. Das ist doch einmalig. Die Umweltschützer sollten sich mit denjenigen Unternehmern, die wirklich bereit sind, etwas für den Naturschutz zu tun, an einen Tisch setzen und Projekte aushandeln, das ist es doch! Die Verteufelung der Industrie hilft doch nichts. Wir müssen zusammenkommen.

Ist die Vernichtung der Regenwälder während Ihrer Amtszeit nun zurückgegangen oder nicht?

Die Rodungen sind schon unter der Regierung von Präsident José Sarney (1985-1990) zurückgegangen, weil die Subventionen für Viehzüchter gestrichen wurden. Auch die anhaltende Wirtschaftsrezession ist für den Rückgang mit verantwortlich. 1987 auf dem Höhepunkt der Zerstörung verschwanden 90.000 Quadratkilometer Regenwälder, dies entspricht der Fläche Österreichs! 1990 sanken die Abholzungen auf 14.000 Quadratkilometer. 1991 wurden 11.000 Quadratkilometer gerodet. In Brasilien sind erst sechs Prozent der Waldfläche zerstört. In Rußland ist die Lage viel schlimmer. Da machen sich jetzt die Koreaner und Japaner über die großen Wälder her.

Ist die Abholzung der Wälder überhaupt zu stoppen?

Ihr kommt immer hierher und fragt mich, was haben Sie für Umweltschutz getan? Was tut ihr denn? Das Umdenken muß bei Euch anfangen. Ihr seid das Vorbild, die dritte Welt hört auf Euch. Ein weltweites Umdenken ist nötig. Unsere kapitalisitsche Industriegesellschaft muß weg vom schnellen Verzehr, wir müssen langfristiger planen. Brasilien hätte keine Energieprobleme, wenn sie auf regionaler Ebene gelöst würden und es in Solartechnik und in die Nutzung von Biomasse als Treibstoff investieren würde. Überhaupt müssen wir die Technologien neu überdenken: Es ist doch ein Wahnsinn, auch dem letzten Chinesen ein Auto zu geben. Interview: Astrid Prange

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