INTERVIEW: „Litauens Innen- und Außenpolitik nicht künstlich ideologisieren“
■ Kazimiera Prunskiene, 1990 Litauens Premierministerin und heute parteiloses Parlamentsmitglied, wirft Präsident Landsbergis ein Abdriften nach Rechtsaußen vor
taz: Litauens Parlamentspräsident Landsbergis hat in letzter Zeit eine politische Niederlage nach der anderen zu verkraften. Beim jüngsten Referendum über die Einführung des Präsidialsystems haben ihm die Litauer die notwendige Mehrheit verweigert, seine einstige Parlamentsmehrheit ist auf eine kleine Gruppe von 50 von insgesamt 140 Abgeordneten zusammengeschrumpft. Woher kommt dieser Abwärtstrend?
Kazimiera Prunskiene: Viele Abgeordnete brauchten einfach eine gewisse Zeit, um sich über Landsbergis' ultrarechten Kurs klarzuwerden. Diese laute patriotische Symbolik, diese kämpferische Rhetorik gegen äußere Feinde, die ständige Suche nach inneren Feinden, die sich die Entwicklung Litauens anders vorstellen als er, ohne jedoch deshalb die Souveränität oder die wirtschaftlichen Reformen in Frage zu stellen — es brauchte einfach seine Zeit, bis die Mehrheit der Abgeordneten das durchschaut hatte.
Selbst manche rechten Parteien wie die Fraktion der „Volksfortschrittler“, die letzten Herbst noch auf der Seite Landsbergis' waren, sind heute gegen ihn. Für sie war der Knackpunkt die Frage, ob man zuerst eine Verfassung mit Gewaltenteilung verabschiedet und dann die Staatsorgane wählt, oder — wie Landsbergis wollte — umgekehrt vorgeht: zuerst einen starken Präsidenten.
Die Ultrarechten, vor allem die „Koalition für ein demokratisches Litauen“, machen den Fehler, daß sie glauben, Antikommunismus allein wäre schon Demokratie. Wir müssen jetzt ein demokratisches Land mit sozialer Marktwirtschaft und stabilen wirtschaftlichen Strukturen aufbauen, nicht unsere Innen- und Außenpolitik künstlich ideologisieren.
Ein solcher Ideologisierungsversuch ist der Slogan vom „Wiederaufbau des Vorkriegs-Litauen“ mit einem starken Präsidenten, der das Parlament auflösen kann. Stimmt, das war damals so — aber das war kein demokratisches Litauen. Eine weitere Ideologisierung ist der Fehler, bei der Privatisierung des Landes Rückgabe vor Entschädigung zu stellen. Dadurch werden die größten Kolchosgüter nun oft an Leute verteilt, die die Mittel nicht haben, das Land weiter zu bestellen.
Wie real ist die Möglichkeit, daß irgendeine Art von kommunistischem Rückfall in Litauen stattfindet?
Das ist reine Demagogie. Die benutzt auch Landsbergis, wenn er merkt, daß er dabei ist, seine Mehrheit zu verlieren. Es gibt eine stalinistische Parallele dazu: die These, daß sich mit der Weiterentwicklung des Sozialismus der Klassenkampf verschärft. Es gibt in dieser Hinsicht keine Gefahr für Litauen: 90 Prozent der Bevölkerung haben letztes Jahr für Unabhängigkeit und Demokratie gestimmt, beim Referendum haben über 75 Prozent teilgenommen, und davon haben über 90 Prozent für den Abzug der Roten Armee gestimmt. Praktisch alle politischen Kräfte in- und außerhalb des Parlaments sind für eine marktwirtschaftliche Entwicklung.
Die Rote Armee will aber nicht einfach abziehen, wenn man den offiziellen Erklärungen Glauben schenkt.
Stimmt, die russische Armee beeilt sich wirklich nicht, aus Litauen abzuziehen. Aber das ist nicht nur ihre Entscheidung, sondern die der Politiker. Natürlich ist ganz Litauen für den Abzug. Aber es gibt Nuancen. Bis Ende letzten Jahres war es real kaum möglich, den Abzug zu erzwingen. Wir sind der Ansicht, daß das durch Verhandlungen geschehen muß, möglichst schnell. Aber eine kategorische Forderung, so als könnte man das in einigen Tagen erreichen, ist einfach nicht realistisch. Wenn eine Seite unrealistische Forderungen stellt, tut die andere Seite gar nichts, anstatt das zu tun, was man realistischerweise von ihr verlangen könnte.
Sie halten die Forderung von Landsbergis, die Rote Armee müsse bis Ende 1992 abgezogen sein, also für unrealistisch?
Wenn wir schon letztes Jahr an diese Frage realistisch herangegangen wären, wäre diese Forderung damals real gewesen. Im September oder Oktober hätten wir das noch von Boris Jelzin erreichen können. Durch unser kategorisches Auftreten haben wir einfach viel Zeit verloren. Letztes Jahr forderten wir, daß die Rote Armee bis Ende 1991 abzieht. Jetzt wollen wir es bis Ende dieses Jahres, aber auch das ist schon nicht mehr realistisch. So machen wir es der anderen Seite leicht, unsere Argumente beiseitezuwischen.
Die Frage wird auch innenpolitisch ausgenutzt. Landsbergis hat bereits einmal gesagt, wenn er die Parlamentswahlen verlieren sollte, gäbe es keine Garantie, daß eine andere Regierung als die seine imstande sei, den Abzug durchzusetzen. Er nimmt für sich das Monopol auf Patriotismus in Anspruch.
Meiner Ansicht nach ist für unsere Sicherheit vor allem wichtig, ob Litauen und Rußland innenpolitisch stabil sind. Im Ernstfall können wir uns gegen Rußland ohnehin nicht verteidigen, ganz gleich, ob die russische Armee in unserem Land oder außerhalb stationiert sein wird. Auf die innere Stabilität Rußlands haben wir wenig Einfluß, aber unsere eigene liegt nur in unseren Händen. Unsere Aufgabe ist es daher, unser Land innenpolitisch, außenpolitisch und wirtschaftlich zu stabilisieren, und nicht, uns möglichst martialisch und patriotisch zu gebärden.
Das zweite Argument der „Koalition für ein demokratisches Litauen“, von der Volksfront „Sajudis“ und von Landsbergis für die Gefahr einer Rückkehr des Kommunismus ist, daß die Macht des KGB immer noch ungebrochen sei und dessen Agenten in Litauen immer noch an der Arbeit seien.
Ich bin überzeugt davon, daß gerade in der „Koalition“ die meisten Agenten sitzen. Ich habe Landsbergis schon 1990 gesagt: Die Ultrarechte diskreditiert unsere Bewegung, sorgt für ständige innenpolitische Spannung und spielt Destabilisierungsabsichten von seiten der reaktionären Kommunisten und des KGB in die Hände.
Es gibt einen Sonderausschuß des Parlaments, der die KGB-Verwicklung von Regierungsmitgliedern, Parlamentariern und Selbstverwaltungsräten untersucht und bisher nur drei Agenten enttarnt hat. Ein weiterer wurde durch die oppositionelle Tageszeitung „Respublika“ entdeckt.
Ja, und einer von den dreien bin ich. Ich habe ein ruhiges Gewissen — es gibt keine Dokumente, die mich belasten würden. In meinen KGB-Akten sind Forschungsberichte aus Deutschland, die ich an meine Universität geschickt habe und von denen Kopien an den KGB gelangt sind.
Die Kommission hat eine von Ihnen unterschriebene Verpflichtungserklärung.
Das ist auch so eine Geschichte. Erst gab es nur die Kopie, von der die Sachverständigen nicht ausschließen konnten, daß sie gefälscht war. Kaum war das Gutachten da, tauchte das angebliche Original auf. Es hat meine Unterschrift, aber den Text darüber habe ich nie zuvor gesehen: „Ich bin einverstanden, dem KGB bei der Lösung einiger Fragen zu helfen, darüber Stillschweigen zu bewahren und mit dem Pseudonym ,Satria‘ zu unterschreiben.“ Das sind sieben Zeilen. Aber alle nach den internen KGB-Vorschriften notwendigen Begleitdokumente — eine Übersetzung ins Russische, die Unterschrift eines Führungsoffiziers —, das alles fehlt.
Es gibt Aussagen ehemaliger KGB-Offiziere, die bestätigen, daß man in Moskau Dokumente zu meiner Diskreditierung anfertigen ließ. Einiges davon wurde später dann benutzt, um meinen Vater, einen antikommunistischen Partisanen, der vor Kriegsende starb, als einen Verbrecher zu diskreditieren, der nach dem Krieg Zivilisten bestialisch ermordet habe. Ich habe zwei Prozesse gegen Zeitungen in dieser Sache gewonnen. Und die gleichen Leute sagen heute in meinem KGB-Prozeß gegen mich aus. Die gleichen Leute arbeiten heute weiter, nur auf andere Rechnung. Interview: Klaus Bachmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen