INTERVIEW: „Mit einem Juden kann man nicht über Gas reden“
■ Ignatz Bubis über alten und neuen Rassismus in Ost- und Westdeutschland: „Früher wurde viel unter den Teppich gekehrt“
epd: Ist es für Juden und auch für Sie persönlich in den letzten Jahren einfacher geworden, in Deutschland zu leben?
Bubis: Wenn es wieder zu Schmierereien und Ausschreitungen kommt, und zwar nicht nur gegen Juden, sondern auch gegen Ausländer und andere Gruppen, wird man doch erinnert, und es kommen Zweifel, ob die Entscheidung, hier zu bleiben und in Deutschland wieder jüdisches Leben zu gestalten, richtig war. Es gibt heute auch in anderen europäischen Ländern Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus. Aber es ist nicht dasselbe, wenn so etwas wieder in Deutschland passiert. Dann kommen alte Befürchtungen hoch, Erinnerungen werden wach, und man überlegt wieder aufs neue. Ein solcher Moment war bei mir im Jahre 1985 die Auseinandersetzung um das Fassbinder-Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“. Sie hat aber auch eine positive Wirkung gehabt. Das Verständnis, daß Juden so etwas nicht verarbeiten können, ist seitdem größer geworden in der Bevölkerung. Mit einem Juden kann man nicht über Gas reden. Meine Frau und ich haben damals sehr geschwankt, ob wir aus Deutschland weggehen sollen.
Viele Deutsche wollen nach der Verwirklichung der deutschen Einheit einen historischen Schlußstrich unter die Vergangenheit ziehen. Zugleich haben fremdenfeindliche Gewalttaten stark zugenommen. Sehen Sie Anzeichen für eine neue rassistische und intolerante Stimmung in der Bevölkerung?
Der Rassismus ist nach der Einheit in den neuen Bundesländern nur stärker zum Vorschein gekommen. Früher durfte es so etwas nicht geben, und es wurde viel unter den Teppich gekehrt. Der Rechtsradikalismus hat aber — unabhängig von Ostdeutschland — auch im Westen stark zugenommen, zum Teil auch aus Unzufriedenheit mit den Parteien. Der Zentralrat der Juden und auch ich persönlich haben die deutsche Einheit begrüßt. Wir haben nicht so große Bedenken gehabt wie zum Beispiel die Nachbarländer, die im Krieg von Deutschland besetzt waren. Für uns, die hier leben, hat sich das anders dargestellt: Das demokratische Deutschland ist größer geworden, und das undemokratische Deutschland ist verschwunden. Daß dies in den Köpfen mancher Leute, die jetzt wieder auf die früheren deutschen Ostgebiete in Breslau, Posen, Königsberg schielen, anders aussieht, ist mir klar. Dennoch sehe ich die Entwicklung als positiv an.
Anfang der 70er Jahre waren Sie selbst Zielscheibe von Schmähungen. In der Auseinandersetzung um die Zweckentfremdung von Wohnraum in Frankfurt wurden Sie als „Spekulant“ bezeichnet. Haben Sie generell etwas gegen diesen Begriff, oder stört Sie nur der Ausdruck „jüdischer Spekulant“?
Bei den damaligen 68ern wie Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer habe ich mich zu deren Lieblings-Spekulanten entwickelt. Ich habe zu diesen Leuten später ein recht ordentliches Verhältnis bekommen. Einzelne von ihnen haben mir auch gesagt: Herr Bubis, ich glaube, wir haben Ihnen Unrecht getan, und Sie sollen wissen, daß wir es auch wissen. Das hat mir zum Beispiel Joschka Fischer einmal gesagt. Ich habe den Begriff „Spekulant“ nie als Schimpfwort empfunden, nur wenn man gesagt hat, daß das „jüdische Spekulantentum“ wieder am Werk sei, habe ich mich gewehrt.
Der Zentralrat steht durch die Ausschreitungen der Rechtsradikalen, die Aufnahme von mehr als zehntausend Juden aus der ehemaligen Sowjetunion und den Tod Heinz Galinskis vor einem Wendepunkt in seiner Geschichte. Welche Aufgaben würden Sie derzeit als die entscheidenden ansehen? Wird die Arbeit des Zentralrates künftig anders aussehen?
Die Arbeit im Zentralrat wird sich nicht ändern. Die Aufgaben allerdings sind gewachsen. Es ist ungeheuer wichtig, die Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion in unsere Gemeinschaft zu integrieren. Die jüdische Bevölkerung in Deutschland wird sich um rund 50 Prozent vergrößern. Wir waren knapp 30.000, sind jetzt bei 40.000, und es können auch 50.000 werden. 15- bis 20.000 Menschen aufzunehmen, ist für uns eine gigantische Aufgabe. Wir haben nicht genug Rabbiner, wir haben nicht genügend Religionslehrer. Es gibt in Deutschland keinen Nachwuchs für diese Aufgaben, so daß wir Lehrer aus dem Ausland holen müssen. Interview: Burkhard Saul (epd)
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