INTERVIEW: Gute Chancen für eine Nachbesserung
■ Alain Lipietz, Sprecher der Wirtschaftskommission der französischen Grünen, ist Maastricht-Gegner
taz: Herr Lipietz, welche Folgen hat dieses hauchdünne Ja für den Europäischen Einigungsvertrag?
Lipietz: Der Ausgang ist extrem knapp und folgt auf eine Woche, in der das Europäische Währungssystem explodiert ist. Wir haben den Beweis, daß die deutsche Bundesbank ein Land durch Inkompetenz oder Dogmatismus in den Ruin treiben kann. Selbst wenn es keine weiteren Referenden geben sollte, gibt es kaum Aussichten auf eine Verwirklichung der Verträge, so wie sie mal geplant waren. Inbesondere die Wirtschafts- und Währungsunion kann nicht mehr in der Formel angewandt werden, in der sie der Vertrag vorschlägt.
Dann müßten Sie über den Ausgang doch ganz froh sein?
Ich war für das Nein, für mich war eine Ablehnung die beste Art und Weise, eine Neuverhandlung zu erreichen. Doch wenn man die sehr knappe Zustimmung und die Enthaltungen zusammenzählt, dann ist dieses Ja schon arg dünn. Ich glaube tatsächlich, daß das schlimmste Element von Maastricht jetzt blockiert ist. Das heißt nicht, daß die übrigen unbefriedigenden Elemente damit ausgeglichen wären. Am Sonntag abend haben alle Maastricht-Befürworter gesagt: Wir können nicht so weitermachen wie bisher, Europa muß demokratischer, sozialer werden etc. Das heißt, inhaltlich erreichen wir durch das starke Nein, was wir von einer Neuverhandlung des Vertrages erwartet hatten. Es ist äußerst schade, daß es so gekommen ist, denn wenn die Regierung und der Gipfel in Lissabon die Forderungen der Grünen nach sozialer Ergänzung und erweiterten Rechten für das Europaparlament ernstgenommen hätten, dann hätte das Ja viel stärker ausfallen können. Dennoch sind jetzt wohl die Chancen gestiegen, Maastricht zu verbessern.
Den Grünen hat man Machtlosigkeit vorgeworfen, weil sie in der Debatte keine Position bezogen haben. Welche Chancen sehen Sie jetzt für Ihre Partei?
Das stimmt, sie sind von der politischen Szene völlig verschwunden. Zum guten Resultat des Referendums — für die, die Maastricht neu verhandeln wollen — ist es auch auf Kosten der Spaltung der Grünen gekommen; aufgrund der unterschiedlichen Ansichten war es für die Grünen sehr schwierig, die Kampagne zu führen. Doch das Ergebnis entspricht doch weitgehend ihren Wünschen. Diejenigen, die für das Nein gekämpft haben, haben äußerst interessante Beziehungen zu den Reformkommunisten geknüpft sowie mit anderen Überresten der Linken. Damit meine ich allerdings nicht Sozialisten wie Chévènement. Zudem entspricht die Zweiteilung Frankreichs bei dieser Wahl ja einer Teilung zwischen oben und unten. Arbeiter, Angestellte, also die früheren Wähler der Linken, haben nein gesagt. Und was für uns auch sehr wichtig ist: die einzige Region, die von einer grünen Präsidentin regiert wird (Marie-Christine Blandin ist Regionalpräsidentin im Nord-Pas-de-Calais — d.Red.), hat zu über 55 Prozent mit Nein votiert.
Hoffen Sie auf eine neue Linke?
Nur so hätten wir eine Chance, innerhalb einer größeren Allianz eine radikale Seite zu stärken. Denn natürlich werden wir nicht mit einer neuen Linken regieren können. Interview: Bettina Kaps
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