INGO ARZT ZU PUTINS GEGEN-SANKTIONEN : Irritation ist seine stärkste Waffe
Ein Einfuhrstopp für Käse, Hähnchen und Joghurt? Allerorten ist angesichts der „Sanktionsspirale“ jetzt vom „Handelskrieg“ die Rede. Doch davon kann noch keine Rede sein. Die Wirtschaftsleistung von Russland zu den USA, EU, Australien, Kanada und Norwegen ist 1:18. Bei einem solchen Kräfteverhältnis von Krieg zu sprechen, ist also lächerlich.
Dennoch ist die Reaktion Moskaus nicht die Tat eines allmählich in den Wahnsinn abdriftenden Wladimir Putins – in einer solchen Pathologisierung liegt die größte Gefahr, dass der Konflikt weiter eskaliert, weil dem Gegenüber die Fähigkeit zum rationalen Handeln abgesprochen wird.
Der Kremlchef wähnt sich in einem Konflikt mit dem Westen, den er – aus seiner Sicht – meisterhaft, stets in der Offensive, immer einen Schritt voraus, dirigiert. Jetzt ist er zum ersten Mal in der Defensive.
Putin ergeht es wie der EU, als Russland die Krim annektierte. Da gab es ein paar Kontensperrungen, die in Moskau niemand scherten, was der EU wiederum egal sein konnte: Die europäischen Staatschefs mussten in einem Akt der Selbstvergewisserung zunächst sich selbst zeigen, dass sie handlungsfähig sind. Genauso wie Putin jetzt zeigen muss, dass er auch ökonomisch kämpfen kann. Obwohl er gnadenlos unterlegen ist.
Doch die Verhältnisse der Wirtschaftskraft allein sagen wenig über die Wucht der Sanktionen aus. Die eigentliche Wirkung ist eine psychologische. Je unberechenbarer Putin wirkt, desto verunsicherter wird die Wirtschaft im Westen.
Dazu kommt: Die EU und Russland sind im Öl- und Gassektor voneinander abhängig. Die EU braucht die Energie, Russland die Einnahmen. Wäre Putin bereit, darauf zu verzichten? Höhere Lebensmittelpreise jetzt treffen vor allem die Armen; die sind ihm eher egal. Der Kampf mittels Öl und Gas träfe auch Putins reiche Verbündete. Er wäre noch irritierender als die Sanktionen jetzt. Aber genau diese Irritation ist Putins stärkste Waffe.
Wirtschaft + Umwelt Seite 9