INES KAPPERT ÜBER DIE MACHT DES WAHLKAMPFS : So nicht, Eliten!
Was musste die gemeine ZeitungsleserIn im letzten Jahr nicht alles lernen: Schrottpapiere, Bad Bank, Konjunkturpakete. Und im Wahlkampf: nichts davon. Wohlgemut schnippten die PolitikerInnen die abgewetzten Diskursjetons von Glaubwürdigkeit, Arbeit für alle und Steuersenkungen in die Diskussionsrunden.
Von Verantwortung, Solidarität, von neuen Gesellschaftsentwürfen – kaum ein Wort. Wie mottig das auch klingt! Wie moralinsauer. Genau diese Anmutung bezeugt die ungebrochene Deutungshoheit von Eliten, denen das Verfemen von Systemverlierern in Fleisch und Blut übergegangen ist. Wer schließlich hat dir vorgeschrieben, Krankenschwester zu werden? Wer dich in die Friseurbranche gejagt? Du hast doch gewusst, dass man in diesen Berufen nichts verdient. So werden Geringverdiener ihres Ansehens beraubt und als Diskussionspartner diskreditiert. Dabei ließe sich einfach antworten: Das Elternhaus, der Ausbildungsmarkt, meine Lust am sozialen Kontakt, das Bestreben, zu helfen – und die Öffentlichkeit ist sich dieser Gründe durchaus bewusst. Und doch wird Anteilnahme mehrheitlich als Mangel an Professionalität gedeutet. Angela Merkel verkörpert diesen Zeitgeist perfekt: Uneitel und zurückgenommen, wie sie ist, verkauft sie Leidenschaftslosigkeit und Gleichgültigkeit gegen ganze Bevölkerungsgruppen als Souveränität. Und das gilt als professionell.
Dieser Wahlkampf hat gezeigt: Die Tabuisierung von Gerechtigkeitsfragen und der Abscheu vor PolitikerInnen, die sich dem Zwang zum Konsens entziehen, verhindern gesellschaftliche Kursänderungen, strafen abweichende Lebensentwürfe ab. Folglich werde ich, trotz kultureller Nähe zu den Grünen, diesmal dafür votieren, dass man im Bundestag um das Thema soziale Gerechtigkeit nicht mehr ganz so einfach herumkommt.