IN SIERRA LEONE SCHEITERT DAS MODELL EINES FRIEDENS OHNE SCHRECKEN: Afrikanisches Debakel
Glaubt man den Lippenbekenntnissen der Politiker, sind die Fronten klar: auf der einen Seite die besorgte Staatengemeinschaft, auf der anderen die triumphierenden Buschkämpfer der Revolutionären Vereinigten Front (RUF). Aber das Bild ist komplexer. Das UN-Debakel in Sierra Leone nützt allen, die am Frieden in Afrika nicht interessiert sind.
Schon als Sierra Leones Präsident Kabbah und RUF-Führer Sankoh im Juli 1999 Frieden schlossen, waren manche Sierra-Leoner enttäuscht angesichts der Aufwertung einer brutalen Guerillaarmee. Bei jedem Zwischenfall zwischen UNO und RUF meinten Scharfmacher, man solle den Rebellen jetzt endlich den Garaus machen. Heute blasen wieder Teile von Sierra Leones Regierungsarmee zum Krieg. Das zerstrittene Regime von Präsident Kabbah könnte darin neue Perspektiven entdecken.
Ähnliches gilt für Kabbahs engsten ausländischen Alliierten Nigeria. Nie waren Nigerias Generäle so mächtig wie zu Zeiten der von ihnen dominierten westafrikanischen Eingreiftruppe „Ecomog“, die zwischen 1990 und 2000 nacheinander in Liberia, Sierra Leone und Guinea-Bissau kämpfte. Sie beherrschten nicht nur ihr eigenes Land, sondern zeigten ganz Westafrika ihre Stärke. Seit einem Jahr sind Nigerias Generäle zahnlos: In ihrem Land herrscht ein Zivilregime, in Westafrika werden sie nicht mehr gebraucht. Außer eben heute wieder in Sierra Leone.
Noch ist es zu früh, um zu sagen, ob Nigeria mit einem neuen Krieg in Sierra Leone seine strategischen Partner Großbritannien, USA und Südafrika brüskieren würde. Aber vieles deutet darauf hin, dass auch diese Länder ein Zurückdrängen der UNO in Afrika begrüßen, obwohl sie in der Öffentlichkeit das Gegenteil behaupten. Die Regierungen in Washington und London kooperieren mit der UNO meistens nur aus pragmatischen Gründen und nicht, weil sie prinzipiell an die historische Mission der Vereinten Nationen glauben. Sie wollen lediglich einzelne Gegner klein kriegen, zum Beispiel Foday Sankoh in Sierra Leone oder Jonas Savimbi in Angola. Sie arbeiten mit Freund-Feind-Schemata, während die UNO im Idealfall auf der Grundlage von Neutralität operiert. Unilaterale afrikanische Militärinterventionen, wie die von Nigeria in Westafrika oder die von Uganda und Ruanda in der Demokratischen Republik Kongo, sind ihnen daher lieber als multilaterale UN-Missionen, weil die Interessen und Fronten klarer sind.
Was in diesen Tagen in Sierra Leone geschieht, bedeutet eine Aufwertung einseitigen militärischen Eingreifens in Afrika. Die Konsequenz davon wird im Fall der Demokratischen Republik Kongo zu beobachten sein. Wer Nigeria bei der kommenden Offensive gegen Sierra Leones Rebellen zujubelt, kann weder Uganda und Ruanda verbieten, im Kongo feindliche Milizen zu jagen, noch Kongos Präsident Kabila zum Verzicht auf den Einsatz seiner eigenen befreundeten ausländischen Armeen gegen die kongolesischen Rebellen auffordern.
Die geplante UN-Mission für Kongo, nach dem schmählichen Scheitern in Angola, Somalia und Ruanda als Krönung der Rückkehr der UNO nach Afrika gedacht, rückt damit in weite Ferne. Das kommt nicht nur allen Kriegsparteien gelegen, sondern auch den USA, die immer wieder ihre Skepsis über die Erfolgsaussichten der Mission bekundet haben, sowie Nigeria und Südafrika, die der UNO nur unwillig Truppen zugesagt haben.
Für die UNO ist es unter diesen Umständen sinnlos, immer größere Blauhelmmissionen zu konzipieren. Ihre Rolle besteht eher darin, politische Interventionsmittel zu entwickeln, die auf die internationale Ächtung ihrer Feinde hinauslaufen. Der im März vorgelegte UN-Untersuchungsbericht über den Diamantenschmuggel der angolanischen Rebellen war dafür ein erster Schritt. Dies mag nützlich sein, um die Strukturen der afrikanischen Mafia-Ökonomien aufzudecken, aber es wird keinen Frieden schaffen. Denn die meisten afrikanischen Warlords können mit einer unfähigen UN-Truppe leben, wie sie derzeit in Sierra Leone steht. Womit sie nicht leben können, ist die Anmaßung des Auslands, sich in ihre Geschäfte einzumischen. Lieber ein Krieg ohne Ende als ein Frieden mit Schrecken, lautet ihre Devise – ob in Sierra Leone, in Angola oder im Kongo. In Sierra Leone scheitert heute das seltene Modell eines Friedens ohne Schrecken, der die Interessen der Warlords hätte wahren sollen. Nun stehen die Zeichen auf Krieg – auf dem ganzen Kontinent. DOMINIC JOHNSON
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