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Archiv-Artikel

IN DER ARABISCHEN WELT VOLLZIEHEN SICH MACHTÜBERGABEN FRIEDLICH Palästina ist nicht Baden-Württemberg

In Baden-Württemberg ohrfeigen sich Politiker, wenn es um die politische Nachfolge von Erwin Teufel geht – aber Chaos droht angeblich in der arabischen Welt, wenn eine Nachfolge nicht geregelt ist wie jetzt beim Tod von Arafat. Dabei gibt es seit der Unabhängigkeit der arabischen Staaten Mitte des 20. Jahrhunderts fast kein Beispiel dafür, dass in dem Moment des Machtwechsels Chaos ausbricht oder gar Blut vergossen wird. In Ägypten verlief der Übergang nach dem Tod Nassers reibungslos, und auch nach der Ermordung Sadats 1980 ging die Macht friedlich an Vizepräsident Mubarak über – und das, obwohl die Wechsel in extremen Krisensituationen stattfanden. Dieses Muster gilt auch in der übrigen arabischen Welt.

Man mag einwenden, die arabischen Herrscher verstünden es vorzüglich, die zweite Garde auszuschalten. Stimmt das? Marokko 1999: Nach dem Tod Hassans II. bot sich der eloquente und charmante Cousin des Thronfolgers, Hicham Alaoui, geradezu als neuer Herrscher an. Doch der erwartete Machtkampf blieb aus, und Hicham Alaoui unterschrieb sofort den Treueeid. Beispiel Jordanien: Von 1965 bis 1999 war der Bruder des Königs, Hassan ibn Talal, der offizielle Kronprinz. Wenige Wochen vor seinem Tod ernannte König Hussein plötzlich seinen Sohn Abdallah II. zum Thronfolger. Hassan ibn Talal hatte 33 Jahre auf den Thron gewartet – und trat dann in die zweite Reihe zurück. Und auch in Syrien blieb im Jahr 2000 das von den Medien erwartete „levantinische Familiendrama der Extraklasse“ aus.

Für die politische Garde in der arabischen Welt und damit auch für Jassir Arafat sind weniger die Schismen aufgrund der Nachfolgestreitigkeiten nach dem Tod des Propheten 632 maßgeblich, als es die autoritäre, politische Kultur der neu gegründeten Nationalstaaten ist. Wir sollten auch nicht glauben, Ahmed Kurei, Nabil Schaath und Mahmud Abbas seien überrascht vom Tod eines 74-Jährigen, dessen Gesundheitszustand schon vor Jahren als fragil bezeichnet wurde. Erbfolgekriege mögen eine spanische, österreichische, bayrische oder auch baden-württembergische Spezialität sein – eine arabische sind sie in der Neuzeit nicht.

SONJA HEGASY, Zentrum Moderner Orient